Als ich im Januar 2020 mein Deutsche-Bahn-Experiment startete, konnte noch (kaum) jemand etwas vom Coronavirus und seinen Folgen auch für die Reisenden ahnen. Meine Idee damals: Wie pünktlich ist die Bahn wirklich? Stimmen die vielen negativen Geschichten, die wir alle zu erzählen haben? Warum schreibe ich als DB-Vielfahrer nicht einfach ein Bahn-Tagebuch und überprüfe dies aus meiner Sicht?
Zoom statt Deutsche Bahn fahren
Ein paar Wochen nach der Idee sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Der Coronavirus schickte uns in den ersten Lockdown. Auch mein Gedanke an ein Bahn-Tagebuch bekam dies zu spüren. Bin ich normalerweise rund 100 Tage pro Jahr bei Workshops und Coachings unterwegs, hieß es auch für mich 2020 oftmals meistens Zoom, Microsoft Teams, Whereby, Webex & Co. statt Deutsche Bahn. Nicht dass dies unbedingt immer schlecht und unangenehm sein muss – keineswegs. Nur war dies natürlich für dieses Experiment – sagen wir – semi-optimal.
Trotzdem habe ich mein Bahn-Tagebuch über das ganze Jahr 2020 hindurch sorgfältig geführt – entlang von 39 Fahrten quer durch Deutschland. Natürlich gab es auch in Corona-Zeiten und – meist – unabhängig vom Virus und seinen Folgen – pünktliche und verspätete Fahrten, entspannte und verkrampfte Momente, nette und blöde Menschen, verpasste Anschlüsse und technische Macken, ausgefallene Reservierungen und Heizungen, Probleme mit Stellwerken, Gleisen und Weichen, fehlende Lokfahrer und gesperrte Bahnhöfe, aber immerhin keine überfüllten Züge. Zumindest auf meinen Fahrten. Und auch Personen im Gleis sowie Personenschäden. Leider. Detailliert lässt sich dies in meinem Tagebuch nachlesen.
Das Resümee: 39 Fahrten Deutsche Bahn
Jetzt, genau 1 Jahr später, ist es Zeit, ein kurzes Resümee zu ziehen, also abzurechnen: Wie pünktlich war sie denn jetzt, die Deutsche Bahn, im Jahre 2020? Und dies natürlich rein auf Basis meiner eigenen Fahrten und damit nur begrenzt repräsentativ?
Beginnen wir mit der zentralen Frage: Ab wann gilt ein Zug als verspätet? Laut Deutscher Bahn gelten Züge ab 6 Minuten als verspätet. Das ist der Toleranzwert. Das heißt: Jeder Zug, der mit maximal 5 Minuten und 59 Sekunden hinter dem Fahrplan in den Bahnhof einfährt, gilt noch als pünktlich. Auch wenn ich persönlich diese historische Zahl – sagen wir – sehr großzügig empfinde, habe ich sie für diesen Test als Basis genommen.
Fast 50% mit Verspätung
Werfen wir also einen Blick auf die Ergebnisse:
Von 39 Einzelfahrten mit der Deutschen Bahn kamen am Endbahnhof an:
- 1x zu früh 😉
- 10x auf die Minute pünktlich
- 11x nach Maßstab der DB noch pünktlich
- 11x bis zu einer Stunde verspätet
- 3x bis zu 2 Stunden verspätet
- 3x über 2 Stunden verspätet
Daraus ergibt sich, dass gut 56 Prozent meiner Züge pünktlich waren – wieder orientiert am DB-Maßstab. Nicht überraschend: Die IC- und Regio-Züge schnitten im Vergleich zu den ICE deutlich besser ab.
Nicht immer hat die Deutsche Bahn Schuld
Bei der Frage nach den Gründen für die jeweilige Verspätung unterscheide ich – und zwar zwischen Gründen, die
- die Bahn zu verantworten hat und den Zug selbst betreffen – wie fehlende Zugunterlagen, fehlende Lokführer, ausgefallene Reservierungen und Heizungen;
- von der DB ebenfalls zu verantworten sind, die aber mehr den Ablauf der Fahrt und damit auch externe Faktoren betreffen – wie Weichenprobleme, technische Störungen, Gleissperrungen, der Ausfall eines Stellwerks oder die Sperrung eines Bahnhofs;
- nicht in die Verantwortung der Deutschen Bahn fallen – wie Personen im Gleis oder gar Personenschäden, die ebenfalls zu Verspätungen führ(t)en.
Wie in meinem Tagebuch nachzulesen ist, gab es natürlich Überschneidungen, da bei vielen Fahrten gleich mehrere Probleme und damit Gründe für eine Verspätung auftraten.
Darüber hinaus zeigte sich wieder: Eines der Hauptprobleme auch meines Jahres mit der Deutschen Bahn bestand im Mangel an Informationen, die weder mich noch andere Passagiere erreichten. In vielen Fällen hatte sogar meine App bereits Informationen zu Problemen rund um unseren Zug, bevor diese Information im Zug durchgegeben wurde. Warum klappt so etwas nicht besser?
Freundlichkeit als großes Plus
Wenn ich an das Positive zurückdenke, bleibt mir vor allem die Freundlichkeit der Zug-Bediensteten im Gedächtnis – und dies gerade in einem Jahr, in dem diese „an der Front“ täglich ihren Job für uns machten und sich nicht immer und überall mit verantwortungsvollen und verständnisvollen Menschen „herumschlagen“ mussten. Auch für den Top-Service eines Frankfurter Zugbegleiters inklusive Twitter-Service muss ich mich für die Hilfe bedanken. Naja, ich war so dämlich, beim Umstieg meinen Laptop im Zug stehen zu lassen. #glückgehabt
Von Japan träumen …
Vielleicht werde ich den Test wiederholen, wenn wir wieder normaler und regelmäßiger auf Reisen gehen können. Und vielleicht verstehe ich bis dahin auch, warum die Deutsche Bahn so starken Wert darauf legt, möglichst immer schneller die Menschen von A nach B zu bringen und stattdessen nicht stärkeren Wert auf Pünktlichkeit und Organisation der bestehenden Züge und Strecken legt. Aber vielleicht bin ich bei dieser Frage einfach von meinen Japan-Erfahrungen zu sehr beeinflusst, die ich schon vor einigen Jahren in meinem Wunschzettel an die Deutsche Bahn fixiert hatte.
Trotzdem: Danke für das Jahr, liebe Deutsche Bahn. Ich bleibe ein Fan von dir!
#DominiksDB