Bitte redet die Twitter-Zeit nicht so rosig!

Bitte redet die Twitter-Zeit nicht so rosig!

Die Umbenennung von Twitter in X ist sicherlich kein Glanzstück. Ganz im Gegenteil. Der ganze Prozess ist bislang ein zweifelhaftes Schauspiel, das gerade strategisch mehr Scherben als Klarheiten hinterlässt. Auf der anderen Seite wird Twitter rückblickend viel zu heroenhaft beschrieben. Und das sage ich als jahrelanger Twitter-Fan- und -Trainer. Ein Gedankenspiel über das Gestern und das eventuelle Morgen.

Auch wenn in den letzten Tagen vieles über Twitter und X geschrieben wurde: Einiges wird bei dem großen Ärger über und der Häme gegenüber Musk »großzügig« übersehen oder vergessen. 3 Gedanken dazu.

1. Twitter lag schon vor Musk am Boden

„Kaum liegt Twitter am Boden, ändert Elon Musk das Logo“, heißt es beim GameStar.

Moment. Twitter lag schon seit vielen Jahren am Boden. Gerade finanziell. Werbeformate floppten, die Plattform machte Verluste und verbrannte täglich 4 Mio. US-Dollar. Sie lebte nur vom Kapital seiner Geldgeber. Warum? Weil die Gründer auch nach zig Jahren kein Geschäfts- und Werbemodell gefunden hatten – im Unterschied zu Meta & Co. Dass sich daran etwas ändern musste, war klar. Sonst wäre Twitter eh am Ende gewesen.

Kein Werbemodell
Dazu haben übrigens wir Kommunikations- und Marketingleute, wir Medienleute und PR-Fachleute, wir Unternehmens-Unterstützerinnen und Organisations-Positionierer unseren Beitrag geleistet. Denn wie viele Ads haben wir auf Twitter geschaltet? Gerade im Vergleich zu Instagram, Facebook, LinkedIn & Co.? In der ach so schönen Zeit vor Musk? Anders gefragt: Wie viele interessante Ads haben mich in der Vergangenheit zum Gucken, Klicken oder Kaufen gebracht? Wenige, sehr wenige.

Bei Trends versagt
Doch nicht nur beim Aufbau eines Werbe- und Innovationsprogramms hat Twitters Produktteam versagt. Auch bei der Übernahme von StartUps. Ein Beispiel: Im Jahre 2012 übernahm Twitter Vine – die damals führende Kurzvideo-App. Was für eine Chance, gerade wenn wir uns das enorme Werbepotenzial heute bei Instagram, TikTok und YouTube betrachtet! Twitter hatte mit der 6-Sekunden-App den Jackpot gekauft und beste Voraussetzungen, der künftige Leader zu sein. Doch was machte Twitter stattdessen? Es stellte Vine 2017 ein.

„Was die Leute dort anfassten, zerfiel in ihren Händen zu grauem, nervigem Staub, Twitter hat kein einziges der vielen neu dazu gekauften Start-ups irgendwie sinnvoll integriert“, schreibt Sascha Lobo in seiner Spiegel-Kolumne.

Stimmt. Leider. Schade.

Kompakt formuliert: Twitter lag vor Musk schon am Boden. Doch niemand wollte dies sehen.

2. Twitter spielt nur eine kleine Rolle in einem Großen.

„Was für Steve Jobs das i, soll für Elon Musk das X werden“, blickt Sascha Lobo auf den X-Wechsel.

Stimmt. War die Twitter-Umbenennung also eine Überraschung? Nein. Der Schritt konnte niemanden überraschen. Dass Musk Twitter radikal umbauen musste und würde, war klar. (siehe Punkt 1). Hinzu kommt Musks Faszination für den Buchstaben X (SpaceX, X.ai, X als Vorname etc.). Schon 1999 hatte er die Online-Bank X.com gegründet, die später in PayPal aufging. Seit 2017 ist die Webseite X.com die Basis seiner StartUps.

Auf den Spuren von Steve Jobs
Musks X-Traum war allen bekannt: WeChat made in the USA. Also eine mächtige, alles integrierende Multifunktions-App – Kommunikation, Shopping, Banking, Payment, Gaming samt App-Store – einfach eine App für alles. Davon hatte Musk immer gesprochen. Dass er Twitter in X integrieren würde, war damit klar. Schließlich zählte es bereits seit Frühjahr 2023 zur X-Corporation.

Elon Musk hatte sich damit klar auf die Fährte von Steve Jobs begeben: Um einen einzigen ikonischen Buchstaben als Gesicht einer Marke herum eine eigene Marken- und Unternehmenswelt aufzubauen. Nur dass das „i“ bei Steve Jobs heute bei Elon Musk „X“ heißt.

Kompakt formuliert: Für Musk spielt Twitter eine kleine Rolle – innerhalb der viel größeren X-Idee. Doch kann es sich durchaus als Basis eignen, weitere funktionierende Services zu integrieren.

3. Musk hat eine Chance vertan. Aus heutiger Sicht.

„Elon Musk ist ein Meister des Ankündigens und des Erhaschens von Aufmerksamkeit“, schreibt der Markenexperte Karsten Kilian bei basicthinking.

Richtig. Nur hat er in der Vergangenheit seine Ankündigungen fast immer erfüllt. Welche Strategie verfolgt Musk aber bei Twitter? Hat er einen Plan für den nächsten Schritt? Eigentlich habe ich ihn in der Vergangenheit über Bücher und Beiträge so kennengelernt.

Doch gerade der Zeitpunkt lässt mich zweifeln: Warum hat er diesen Wechsel jetzt vollzogen, ohne seine X-Strategie damit zu verbinden und einen großen Plan auszurollen? Dann hätte doch jeder neugierig gewagt: „Guck mal, was Musk aus Twitter macht. Etwas viel Größeres. Spannend!“ Warum hat er dieses Momentum, diese mediale Chance verstreichen lassen?

Radikaler Wandel ohne großen Plan?
Und warum hat er radikal eine solch etablierte Marke wie Twitter aufgegeben und einen Teil des Markenwertes damit zerstört? „Das ist, wie wenn man Coca-Cola kauft und die ikonische Flasche austauscht, ohne das Produkt zu verändern“, so ein US-Finanzprofessor in einem Tagesschau-Beitrag. Oder will uns Musk – wieder einmal – überraschen?

Dass Musk diesen radikalen Wandel vollzieht – dies kann nicht wirklich überraschen. Dass er diesen Wechsel aber mit so vielen Fragezeichen garniert, das hätte ich mir niemals vorstellen können. Musk aber dafür als „Elefant im Porzellanladen“, als „Zerstörer“ zu bezeichnen, wie in vielen Medien zu lesen, dies beweist wenig Verständnis für das große Ganze.

Kompakt formuliert: Aus strategischer Sicht war es durchaus sinnvoll, Twitter umzubenennen. Aber nur dann, wenn möglichst bald der große Schritt erfolgt. Falls es diesen gibt.

Gedankenspiele: 10 Lesetipps rund um Blasen, Studien, Spickzettel, KI und Strategien

Gedankenspiele: 10 Lesetipps rund um Blasen, Studien, Spickzettel, KI und Strategien

Wie jedes Jahr bieten die bevorstehenden Sommerferien einen willkommenen Moment der Ruhe, des Nachdenkens, des Neuorientierens, des In-Sich-Gehens, des In-Frage-Stellens – und auch des Digital Detox. Raus aus den eigenen Blasen? Für viele undenkbar, wie eine aktuelle Bitkom-Studie aufzeigte. Danach konnte über die Hälfte der Befragten nur wenige Stunden den sozialen Medien fernbleiben. Eigentlich das typische Zeichen eines Suchtverhaltens.

Doch ob Sucht oder nicht: Etwas Digitaler Detox tut uns mit Sicherheit allen gut. Auch mir. Darum werden meine Lesetipps erst wieder im September erscheinen. Heute habe ich aber nochmals 10 Beiträge zusammengestellt.

Frisch publiziert:

  • LinkedIn oder das (Un-)Leben in Blasen
    Leben wir in Blasen? Gerade auch auf LinkedIn? Ich glaube ja – und zwar immer stärker. Unser Land scheint sich in die Filterblasen der Aufmerksamkeitsgesellschaft aufzuteilen. Mein ganz persönliches Gedankenspiel über einen Welt-Artikel, über Filterblasen und über das Fehlen einer Kommunikation, die vieles erleichtern würde.

Neues aus der Studienwelt:

  • Reuters Digital News Report: News-Interesse nimmt ab
    Beunruhigend: Immer weniger Menschen interessieren sich in Deutschland für Nachrichten. Stattdessen versuchen sie immer mehr aktiv, Nachrichten zu vermeiden. Auch das Vertrauen in News geht weiter zurück. So 3 Ergebnisse aus der deutschen Teilstudie des „Reuters Institute Digital News Report 2023“. Und ja: Selbst als News-Junkie ziehe ich mich immer stärker aus der täglichen Berichterstattung zurück.
  • Social Media Index: Medien verlieren bei Facebook an Reichweite
    Nicht überraschend: Laut Social Media Index verlieren Medienhäuser und News-Anbieter bei Facebook an Sichtbarkeit. So sind deren Zugriffszahlen kräftig gesunken, da Facebook gerade Beiträge mit Links kaum mehr anzeigt. Damit zeigt sich mal wieder, dass eine Abhängigkeit von einer Plattform keine wirklich strategisch kluge Denke ist.

Über echte und künstliche Inhalte:

  • Wie menschlichere Inhalte bei der Content-Flut helfen
    Wie finden wir einen Ausweg aus der Content-Flut? Auch dank ChatGPT & Co. stehen wir vor einer weiteren Welle der Content-Schwemme. Für Falk Hedemann könnten menschlichere Inhalte ein Ausweg sein – also persönliche Erfahrungen, Meinungen, Einschätzungen, Dialoge. Sein hervorragender Beitrag lädt zum Nachdenken ein.
  • Welche Inhalte Menschen zum «Scroll-Stopp» bringen
    Welche Inhalte bringen Menschen zum „Scroll-stopp“? Verhindern also, dass sie weiter durch den Feed scrollen, sondern mit dem Beitrag interagieren? Dieser Beitrag liefert 10 Methoden samt Content-Ideen, wie Beiträge in der Menge auffallen.
  • Wie für Social Media richtig zu prompten ist
    Wie lassen sich Prompts im Bereich Social Media einsetzen? Schon in der Free-Ausgabe des Social Media Best-Practice Newsletters wird aufgezeigt, wie Prompts zu formulieren sind und wie sie sich für die Social Media Arbeit dann nutzen lassen.
  • Welche 10 ChatGPT Plugins helfen können
    Die Zahl der ChatGPT Plugins wächst scheinbar täglich, die Übersicht wird immer schwieriger. Wie gut, dass Jens Polomski sich mal wieder 10 Plugins herausgepickt hat, die im Bereich digitaler Kommunikation hilfreich sein könnten.

Über Strategien und Kanäle:

  • Spickzettel: Tipps für das Social-Media-Marketing
    Wie oft soll ich posten? Wie viele Hashtags nutzen? Welches Format macht am meisten Sinn? Gerade Menschen, die sich nicht 24/7 mit sozialen Medien beschäftigen und nicht ständig auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können, suchen nach Leitplanken. Felix Beilharz hat dazu ein hilfreiches Cheat Sheet erstellt.
  • E-Mail-Marketing: So lässt sich Vertrauen schaffen
    Nur über eine enge Beziehung zwischen Sender und Empfänger lässt sich gute Kommunikation aufbauen. Beim E-Mail-Marketing spielen das Zuhören und das Vertrauen die Kernrollen. Ein Beitrag über E-Mail-Authentifizierung, Verteiler-Segmentierung, Content-Verweildauer sowie Bounce- und Beschwerdemanagement.
  • Threads: Twitter künftiger Wettbewerber geleaked
    „Threads“ – so heißt die neue Twitter-Alternative von Meta, wie The Verge berichtet, die letzte Woche in den USA und in UK gestartet ist. Die Screenshots laufen noch unter dem Codename „Project 92“. Das Besondere: Durch die ActivityPub-Applikation wird jeder seine Follower aus anderen Netzwerken wie Mastodon mitnehmen können. Entstehen neue Blasen?
Vom Ende menschlicher Kommunikation.

Vom Ende menschlicher Kommunikation.

Vor gut 4 Wochen habe ich einen Beitrag im GoogleWatchBlog gelesen, der mich nachdenklich gemacht hat. Sehr nachdenklich. »KI schreibt jetzt automatisch Nachrichten«, schreibt Jens – und kommentiert gleich weiter: »muss das wirklich sein?« Aktuell brechen immer mehr AI-Tools in die Kommunikationsplattformen als angebliche Helferchen ein – und zwar quer durch alle privaten wie beruflichen Kanäle. Wollen wir das? Ein Gedankenspiel über Menschen, die schrittweise von ChatGPT & Co. ersetzt werden könnten.

Nein, ich bin kein Technologie-Gegner oder -Zweifler. Ganz im Gegenteil. Jeder, der mich kennt, in Workshops und Coachings erlebt oder meine Beiträge hier verfolgt, wird dies wissen. Ich stehe dem Einsatz von KI sehr aufgeschlossen gegenüber. Schon von der Recherche zu meinem Buch „Praxis Online-Texten“ weiß ich, wie stark KI bereits seit Jahren bei Medien eingesetzt wird und auch mir helfen kann, meine Arbeit besser und produktiver zu machen.

Natürlich gibt es viele Chancen

Niemand muss mich daher davon überzeugen, wie toll KI ist und wie grandios ChatGPT & Co. mir helfen. Nein. Denn das weiß ich – und nutze es auch: zur Strukturierung von Texten, zur Redaktion von Textabschnitten, zur Recherche von SEO-Keywords, zur Erstellung von Videos wie dieses oder von Bildern – wie das Titelbild zu diesem Beitrag. Und natürlich sehe ich aus Kommunikatoren-Sicht viele Einsatzmöglichkeiten – ob zur FAQ-Erstellung, zum Kundenservice, zum Abbestellen von Newslettern etc.

Aber hat all dies etwas mit persönlicher, zwischenmenschlicher, ja, privater Kommunikation zu tun? Nicht wirklich. Und genau hier setze ich meine Grenzen.

Menschen vs. Maschinen wie ChatGPT

Warum kommuniziere ich mit euch allen per Messenger, auf Instagram, auf LinkedIn? Ganz einfach: Weil ich mich für die Menschen interessiere – ihre Texte, ihre oft auch anderen Meinungen, ihre Einschätzungen, ihre Erkenntnisse, ja, besonders auch die ganz persönlichen, individuellen Noten. Und egal, wie mich Inhalte erreichen – ob per Mail, per WhatsApp, auf LinkedIn oder Twitter – all diese sind immer ganz eng mit etwas verbunden: Einem Menschen, der dahinter steckt, also ein kluger Kopf, wie die FAZ früher mal in einer Werbung titelte. Doch bleibt dies so?

Sehen wir uns 3 Anwendungen an:

Beispiel 1: Google wird künstliche Intelligenz in Gmail integrieren und kann dann meine E-Mails vorformulieren, verfasste Mails verbessern oder vollständig selbst schreiben, wie diese Screenshots verdeutlichen. „In den Demos sieht das alles toll aus und wird den Nutzern sicherlich viel Zeit sparen. Aber muss das wirklich sein?“ Die Frage im GoogleWatchBlog ist berechtigt. Und wenn die KI dann sicherlich bald auch antworten kann: Unterhalten sich künftig zwei KIs miteinander, wie in meinem Titelbild? Also ohne die Menschen?

Beispiel 2: Ein neues Feature auf LinkedIn für die KI-Content-Kreation sorgt aktuell nicht gerade für Begeisterung. Mit wenig Aufwand und mit KI-Unterstützung lässt sich ein Posting erstellen und publizieren:

 „All the ‚Creator‘ has to do is enter from 1 up to 30 words in the [Create a post] function, click (Draft post) and [In]’s AI will create a draft for them to review, edit, or just choose to post as is”, schreibt Kevin D. Turner auf LinkedIn.  

Geht es bei LinkedIn nicht um den Aufbau und die Pflege von menschlichen und nicht von maschinellen Kontakten? Ist das – bitter gesagt und auch so gemeint – das Ende des B2B-Networking? Wie gesagt: Unterhalten sich auch bei LinkedIn bald die Bots miteinander? Richard van der Blom hat recht, wenn er schreibt (von mir übersetzt): „Bitte unterschätze deine treue Community nicht. Sie werden es fühlen, wenn die KI deine Beiträge schreibt.“

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.

Übrigens: Wer wissen will, wie das künftig aussehen könnte: Ich habe testweise (siehe Bild) mal Merlin mit LinkedIn verbunden. Und prompt schlägt mir Merlin für meinen LinkedIn-Post nicht nur Themen vor, sondern schreibt Artikel gleich vor (aktuell nur auf Englisch), die ich „nur“ noch posten müsste. Nein, das werde ich nicht machen.

„Networking at its worst“

Beispiel 3: »So habe ich 400 Kommentare in 30 Minuten per KI beantwortet«, brüsten sich Möchtegern-Kommunikatoren derzeit auf LinkedIn. Aha, „beantwortet“. Ich verstehe schon. Ziemlich geistlos, wie in vielen Kommentaren zum Beitrag zu lesen ist. Sorry, but that’s networking at its worst! Zumindest aus meiner, menschelnd geprägten Sicht.

Aber wird das viele daran hindern, trotzdem massiv ihre Content-Produktion zu erhöhen – und damit ihre Community zu verlieren bzw. zu verärgern? Wohl kaum. Nur: »Besser werden dadurch die Inhalte dennoch nicht unbedingt«, stimme ich Klaus Eck vollkommen zu.

Wie gesagt: Aktuell wirkt diese Entwicklung für mich, als würde man auf eine Veranstaltung wie die baldige re:publica nicht die Menschen, sondern nur noch deren KI schicken, die sich dort austauschen, Party feiern, Wissenswertes aufsaugen und dies dann in ihren Speichern fixieren. Persönlichkeit? Die ginge verloren. Und die Menschen selbst? Brauchen wir die noch?

GPT bald menschlich?

„GPT-4’s performance is strikingly close to human-level performance, and often vastly surpasses prior models such as ChatGPT. Given the breadth and depth of GPT-4’s capabilities, we believe that it could reasonably be viewed as an early (yet still incomplete) version of an artificial general intelligence (AGI) system“, zitiert Sascha Pallenberg aus einem Microsoft-Papier.

Das zeigt: In den nächsten Monaten werden immer mehr Tech-Companys aufregende Anwendungsgebiete zeigen – weit über ChatGPT hinaus. Darauf freue ich mich, aber: Mich erschreckt es, dass sie bald schon – wie Sascha zitiert – so weit sind, die „menschliche Art der Kommunikation“ zu kopieren. Vielleicht bequem für viele Versender.

Mich beunruhigt dies eher. Als Freund der Kommunikation, einer menschlichen Kommunikation. Ich hoffe weiterhin, dass sich auf der anderen Seite der digitalen Leitung ein Mensch befindet – und keine Maschine, abgesehen vom schnelleren Kundendienst o. ä. Denn wofür benötigen wir ansonsten die Menschen noch?

Zu menschlich für diese neue Welt?

Wie gesagt: Ich bin Technologie-Freund, ein digitaler Entdecker und Wissensvermittler – aber gleichzeitig ein Traditionalist. Für mich ist es eine Missachtung der anderen Person, eine Geringschätzigkeit, wenn ich dieser nur noch automatisierte Nachrichten schreibe. Natürlich gibt es dafür schon genügende Beispiele – wie diese automatisierten Geburtstagsgrüße. Aber schätzt jemand diese wirklich als persönlichen Gruß? Und wollt ihr diese wirklich von euren engsten Freundinnen, Bekannten oder Geschäftspartnern erhalten? Ich nicht.

 Vielleicht bin ich aber einfach zu menschlich. Aber dazu stehe ich. Und ihr?

Gedankenspiele: 10 Lesetipps rund um alte und neue Revolutionen

Am 30. April feierte das WWW seinen 30. europäischen Geburtstag. War dies damals eine eher geheime Revolution, deren wirkliche Folgen erst Jahre später sichtbar wurden, stehen wir 30 Jahre später vor der nächsten digitalen Revolution, die dafür umso intensiver diskutiert wird: Stichwort Künstliche Intelligenz.

Die Vehemenz der aktuellen Diskussion spiegelt sich auch in der Zahl der Beiträge wider, die innerhalb meiner Community publiziert, geteilt, bewertet werden. So ist es nicht sehr überraschend, dass in diesem Gedankenspiel ein Schwerpunkt auf KI-Themen liegt. Denn auch wenn wir die KI-Zukunft nicht kennen: Damit beschäftigen sollten wir uns alle. Ansonsten wird uns diese Revolution überrollen.

In eigener Sache

Die Stadt im digitalen Wandel: Warum wir radikal umdenken müssen
Vor gut zwei Jahren hatte ich geschrieben, dass nicht Corona die Innenstädte verändert. Sondern unser Verhalten in digitalen Zeiten. Jetzt habe ich den Beitrag nochmals angepackt. Weil er aufzeigt, wie schnell sich im digitalen Wandel etwas verändert. Mein Gedankenspiel über die Folgen verschlafener Digitalisierung als Forderung, jetzt bitte und endlich radikal neu zu denken!

Kanäle: gestern und heute

  • So entstand das World Wide Web
    Vor gut einer Woche feierte das WWW seinen 30. europäischen Geburtstag. 30 Jahre zuvor, also am 30. April 1993, hatte das Kernforschungszentrum CERN in Genf den Programmcode des World Wide Web (WWW) der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Der Siegeslauf der damals revolutionären Web-Technologie konnte beginnen. Wer gerne in der Vergangenheit schwelgt bzw. in die Historie zurückblättert – mit dem Briten Tim Burners-Lee als Protagonisten, für den könnte dieser Beitrag interessant sein.
  • So funktioniert der LinkedIn-Algorithmus
    Wie bewertet LinkedIn Beiträge? Wie wird Spam identifiziert? Welche Kennzeichen werden vom Algorithmus positiv beurteilt, um Reichweite zu erhalten? Auch wenn die Inhalte bekannt sein sollten: es lohnt sich über die Geschwindigkeit der Interaktion, die Zahl der Verbindungen, die Relevanz von Standort nachzudenken, ohne sich diese als Korsett überstülpen zu lassen.
  • So werden E-Mails in allen Generationen genutzt
    Die E-Mail feierte vor 2 Jahren bereits ihre Goldene Hochzeit. Trotzdem ist sie auch nach 52 Jahren weiterhin quicklebendig und wird quer durch alle Generationen genutzt. Wie stark sie zentraler Bestandteil des digitalen Lebens ist, zeigt eine neue Studie von United Internet.

Text: Qualität + SEO

  • E-E-A-T: Wie Google auf Qualität setzt
    Wer sich in Zeiten von KI mit Google und mit SEO beschäftigt, kommt an der Qualitätsoffensive von Google nicht vorbei. So will Google immer stärker den Autor und seine Kompetenz in den Fokus stellen. Um Erfahrung, Expertise, Autorität und Vertrauen zu bewerten, spielt das E-E-A-T-Konzept eine zentrale Rolle, das Olaf Kopp bei Sistrix ausführlich beschreibt.
  • Guter Content: Wie ein SEO-Fahrplan aussieht
    Ende April gab ich einen Workshop zum „Online-Texten“ (LINK). Eine Kernaussage ähnelte dieser Autorin: »Wir kreieren Content in erster Linie für die Nutzer. Die Suchmaschinenoptimierung ist ein willkommenes Nebenprodukt.« Ihr Beitrag ist ein guter Fahrplan, Content zu finden, zu planen, zu optimieren und auszuwerten – und dies im Rahmen einer SEO-Strategie.

Revolution: ChatGPT, KI, Bing

  • Recht & KI: Welche Richtlinien intern notwendig sind
    Beim Einsatz von KI-Systemen bestehen rechtliche Risiken. Der Stuttgarter Anwalt Carsten Ulbricht empfiehlt Unternehmen und anderen Institutionen, geeignete interne Richtlinien einzuführen, um Chancen nutzen, aber vor Risiken gewappnet zu sein. Dazu stellt er einige zentrale Punkte in seinem Beitrag vor.
  • ChatGPT & Co.: Wie KI das CRM verändert
    Wie lässt sich KI im E-Mail-Marketing nutzen? Und wie verändert es bestehende CRM-Systeme? Sehr stark, schreibt Nico Zorn. Und stellt 3 Anwendungsbereiche vor: Personalisierte, individuelle Ansprachen, einfacher zu bedienende Interfaces und besserer Kundenservice bzw. Kundenkommunikation.
  • Bing AI: 7 Prompts, die weiterhelfen
    Wie lässt sich der Bing Chat sinnvoll einsetzen, damit er uns wirklich hilft? Wie muss ich die Prompts dazu formulieren? Gute Auflistung von 7 Möglichkeiten, auch wenn die Zusammenfassung von verlinkten Beiträgen nicht wirklich funktioniert.
  • Tool-Tipp: Futurepedia
    Auf der Suche nach einem hilfreichen AI-Tool? Für Texte, Bilder, Videos und vieles mehr? Futurepedia nennt sich „The Largest AI Tools Directory“. Und das zurecht. Täglich wachsend hat mit Sicherheit das richtige Tool. Man muss es „nur“ suchen.

Die Stadt im digitalen Wandel: Warum wir radikal umdenken müssen

Die Stadt im digitalen Wandel: Warum wir radikal umdenken müssen

Vor gut zwei Jahren hatte ich geschrieben, dass nicht Corona die Innenstädte verändert. Sondern unser Verhalten in digitalen Zeiten. Also wir alle selbst. Jetzt habe ich den Beitrag nochmals angepackt. Da ich ihn heute für wichtiger empfinde als zu Corona-Zeiten. Weil er aufzeigt, wie schnell sich im digitalen Wandel etwas verändert. Ein Gedankenspiel über die Folgen verschlafener Digitalisierung. Oder: Hallo digitaler Wandel.

»Büros stehen leer. Wohnungen werden gebraucht. Die Umwidmung von Gewerbeflächen könnte die Wohnungsknappheit in Deutschland lindern. Experten haben ausgerechnet, dass so 45.000 Wohnungen entstehen könnten. Doch oft scheitern die Ideen an fehlenden Genehmigungen und rigiden Bauvorschriften.« 

So schreibt Gabor Steingart in meinem derzeitigen Lieblings-Newsletter, dem Morning Briefing.

Über Leerstand und Verödung von Innenstädten wurde bereits vor 2 Jahren diskutiert. Damals wurde dem Virus die Schuld gegeben: „Unsere Innenstädte sterben wegen Corona aus“. Ähnlich formuliert es daher heute das AI-Tool Merlin: »Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Innenstädte sind signifikant und werden in den kommenden Jahren eine neue Realität schaffen

Kein Wandel nach Corona

Die Schuldzuweisung an den Virus war schon damals Quatsch. In meiner Vision für das Jahr 2030 schrieb ich dazu: »Das können nur Menschen behaupten, die die letzten 20 Jahre mit blickdichten Scheuklappen herumgelaufen sind.« Die Pandemie war ein Verstärker. Mit Sicherheit. Mehr aber nicht.

 Dafür reicht ein Blick in das Heute. Ist jetzt alles „back to normal“, seitdem die Corona-Zeiten – offiziell – beendet sind? Wer durch die Innenstädte läuft, hat die Antwort vor Augen: Die Zahl der Pleiten ist gestiegen, die Zahl der überfüllten Straßen und Plätze zurückgegangen, die Zahl der „Schlussverkauf“-Schilder gewachsen, und die Klagen der Geschäftsleute über geringere Umsätze sind dagegen deutlich zu vernehmen. Denn Einkaufsstraßen verlieren immer mehr Menschen, Flaneure, Käuferinnen, Interessierte.

Digitaler Wandel erst am Anfang

Vor zwei Jahren beschrieb ich folgendes Szenario:

»Wir schreiben das Jahr 2030. Die Innenstädte haben sich im Verlauf der vergangenen zehn Jahre stark verändert. Ob die Zeil in Frankfurt am Main, die Schildergasse in Köln, die Königstraße in Stuttgart oder die Kaufingerstraße in München: Überall haben die einst das Stadtbild so dominierenden Warenhäuser, Modeboutiquen, Schuhketten, Buch- und Schmuckläden ihr traditionelles Zuhause verlassen. Die neuen Mieter sind Marken-Flagstores, Co-Working-Spaces, Kaffeeketten und Versand-Shops von Amazon & Co.«

Dominik Ruisinger

Dazu findet der Verkauf längst nur noch online statt – per App, Produkt-Scan direkt live aus dem Showroom und natürlich über die Social-Media-Kanäle wie Instagram Shopping. Dieser Vision nähern wir uns gerade in lauten Schritten. Schon heute erwarten die Kommunen mehr Leerstand und Geschäftsaufgaben, wie Studien, wie die »Deutschlandstudie Innenstadt 2022« aufzeigen. Weil die Menschen den Innenstädten und Einkaufsstraßen fernbleiben: »Noch im Herbst 2021 gaben nicht einmal 25 Prozent der Befragten an, „selten“ bis „gar nicht“ in die Innenstädte zu gehen. In diesem Sommer (2022) ist es bereits ein Drittel, also über 30 Prozent«, heißt es dazu im Business Insider.  

Amazon und das Henne-Ei-Prinzip

Dieser Verlust an Menschen und deren sinkende Kauflaune nährt Sorgen vor der Verödung der Innenstädte. Liegt dieser Verlust an Urbanität noch an Corona? Nein. Was der Pioneer-Chef Steingart skizzierte, ist ein Phänomen, das einen ganz anderen Hintergrund hat: digitaler Wandel und unser verändertes Medien- und Konsumverhalten. Es sind wir Menschen, die es einfach nicht anders wollten und wollen.

Wenn ich davon lese, dass »Amazon & Co. und Corona viele lokale Einzelhändler zur Geschäftsaufgabe zwingen«, dann hat der Autor das Henne-Ei-Prinzip nicht verstanden. Amazon & Co. haben sich nicht durchgesetzt, weil die Marke von Anfang an so stark war. Amazon & Co. haben Macht, weil wir es so wollten, weil wir es ihnen gegeben haben, weil wir die Bequemlichkeit genießen, weil wir den Service schätzen, weil uns das Ganze viel Zeit erspart, die wir anders verbringen wollen. Und weil immer mehr Menschen jeder Generation ins Netz abgewandert sind.

Und nein, ich will nicht die Großen verteidigen. Nur zeigt sich hier wieder das Thema Digitalisierung. Vereinfacht lässt sich sagen, dass unsere Innenstädte die Digitalisierung und unsere Verhaltensveränderung in digitalen Zeiten verschlafen haben. Während der Staat mit Fördergeldern und Finanzhilfen auf die bescheuerte Idee kommt, Warenhauskonzepte zu unterstützen, die schon seit Jahren ausgelaufen sind, fehlen vielfach die einfach umsetzbaren Ideen, die eine Vernetzung von vor Ort und digital verbinden.

Panik statt Ideen

Wo sind die Geschäfte, in denen man sofort seine Produkte scannen, digital bezahlen und sich nach Hause schicken lassen kann? Würde das nicht auch viel Verkaufsfläche ersparen? Stattdessen blicken alle mit Schreckens-geweideten Augen auf neue Amazon-Verteilzentren oder auf Amazon Go, auf Supermärkte ohne Kassen, wo man das nimmt, was man braucht, hinausgeht und per Amazon-Konto bezahlt. Ist das so schwer umsetzbar? Nicht wirklich. Gibt es solche Beispiele schon? Ja, sicher. Sind das viele? Nein, viel zu wenige!

Natürlich freue ich mich über Initiativen wie der Fördertopf »Digitaler und Einzelhandel zusammendenken« in NRW, der digitalen und stationären Handel zusammenführt. Aber warum erst jetzt? Solche Konzepte dauern und brauchen Zeit, heißt es immer wieder. Nein, sorry, die Zeit ist nicht mehr da, digitaler Wandel überall aber schon. Und nur als kleine Erinnerung: Dieses Internet ist heute schon 70 Jahre alt.

Radikales Umdenken nötig

Heute ist das Sterben der Innenstädte in vollem Gange. Vor allem deswegen, weil die Innenstädte sich nicht neu erfinden. Jede Krise bietet bekanntlich auch Chancen. Nur: Wann finden wir endlich den Mut, dazu, viel radikaler zu denken? Hallo digitaler Wandel?

 »Überall sterben Läden, die Innenstädte verfallen. Corona gibt vielen Orten nun den Rest. Es sei denn, Politik und Einwohner denken radikal um und erfinden ihre City völlig neu«, hieß es vor zwei Jahren im Stern.

Der Stern

Richtig. Neu denken, hieße beispielsweise, das bisherige Modell einer Trennung von Wohnen und Arbeiten zu beerdigen, nicht-kommerzielle Nutzung fördern, Büro- und Ladenflächen in Wohnungen zu verwandeln, um Wohnen und Arbeiten zum Lebensraum zu kombinieren. Nähere Arbeitsplätze, kürzere Wege, soziale Vielfalt, näheres Miteinander hießen die Folgen dieses Mix‘. Macht nicht genau dies Kieze in Großstädten so lebenswert?

Wohnen + Arbeiten = Erlebnisraum

»Es muss das Ziel sein, die Städte wieder stärker zu beleben«, schreibt der Unternehmer Michael Otto im Handelsblatt-Newsletter. »Büros, die wegen des Trends zum Homeoffice nicht mehr gebraucht werden, kann man beispielsweise zu Wohnungen umfunktionieren.«

Michael Otto

Doch warum scheitern (siehe oben) die Umwidmung von Gewerbeflächen an fehlenden Genehmigungen und rigiden Bauvorschriften? Auch als früherer Student der Architektur frage ich mich: Wo sind die vielen Vorbilder in den Städten, den Ländern und insbesondere bei Bauunternehmen, die die Folgen der Digitalisierung erkennen und radikale Ideen umsetzen? Als Vorbild für viele andere? Denn leere Büroflächen bringen auch keine Rendite. Wo ist dieser Mut zum radikalen Neuanfang?

Ohne Wasser stirbt jeder Keim der Hoffnung

In meiner positiv gestimmten Vision für Jahr 2030 prognostizierte ich diese Durchmischung:

»In einigen Läden, die einst die WMF‑, Swatch‑, H&M- und Douglas-Filialen beherbergten, haben normale Menschen ihr neues Zuhause gefunden. Wohnen und Arbeiten sind enger zusammengerückt. Der Grund: Die Innenstadt-Mieten sind nach dem Zusammenbruch des Büro-Immobilienmarktes wieder bezahlbar geworden. Schließlich sind die früheren Geschäfte verschwunden oder komplett ins Web umgezogen. Zudem haben sich viele Büros räumlich deutlich verkleinert – weil im Schnitt 50 Prozent aus dem Homeoffice herausarbeiten. Weil dies die Arbeitgeber und ‑nehmer so wollen. Und weil es seit 10 Jahren verstärkt zur Normalität gehört.«

Dominik Ruisinger

Klingt das heute so abwegig? In jeder Krise keimt immer etwas Hoffnung. Nur wer diesem Keim nicht bald etwas Wasser gibt, der wird alle Hoffnungen ersticken.