Der tiefe Medienwandel geht weiter. 7+2 Erkenntnisse aus der neuen ARD/ZDF-Medienstudie
Die ARD/ZDF-Medienstudie (früher ARD/ZDF-Onlinestudie) zählt seit Jahren zu den für mich relevanten Studien. Nicht nur, dass ich darüber regelmäßig berichte – z.B. hier 2023 und hier 2022; auch lege ich sie den Teilnehmenden meiner Workshops und Coachings ans Herz. Schließlich ist sie eine der zentralen Studien, wenn es um die Mediennutzung von uns geht. Jetzt ist die neueste Ausgabe erschienen.
Dazu wurden insgesamt 2.500 deutschsprachige Personen ab 14 Jahren in Deutschland per Telefon bzw. über ein Onlinepanel im Zeitraum von 12. Februar bis 5. Mai 2024 befragt. Wieder liefern die repräsentativen Ergebnisse einen Einblick, wie die Deutschen analoge und digitale, lineare und nicht-lineare Medien nutzen – also Text, Audio und Video.
Doch nicht nur der Name hat sich geändert: aus ARD/ZDF-Onlinestudie und der Langzeitstudie Massenkommunikation wurde die ARD/ZDF-Medienstudie. Auch dieses Jahr lassen sich einige für die Kommunikation relevante Entwicklungen und Veränderungen beobachten.
In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf 9 Punkte:
- 7 interessante Ergebnisse
- 2 wirkliche Tiefpunkte der Studie.
Zudem versuche ich, die Ergebnisse kurz ins Gebilde der integrierten Kommunikation einzuordnen. Dabei fokussiere ich mich stark – wenn vorhanden – auf die tägliche Mediennutzung, da diese viel aussagekräftiger für das Verhalten der Menschen ist.
1️⃣ Der Medienkonsum nimmt ab.
Die Mediennutzung in Deutschland ist zurückgegangen. Laut Studie verbringt die Bevölkerung pro Kopf gut 6 Stunden pro Tag (384 min.) mit Medien. Damit ist die Nutzungsdauer in den vergangenen Jahren stetig gefallen und liegt in diesem Jahr eine halbe Stunde (28 Minuten) unter dem Vorjahreswert.
Beim Blick auf die Tagesreichweite fällt auf, dass diese Mediennutzung quer durch die Gattungen zurückgegangen ist – am stärksten bei der Text-Nutzung (– 6%), gefolgt von Video- und Audio-Nutzung (jeweils -3%).
Folge: Auch in den Jahren 2024/2025 haben weiterhin Offline-Instrumente (Plakate, Flyer, Events) ihre durchaus berechtigte Funktionen, um Zielgruppen ganzheitlich zu erreichen.
2️⃣ Non-Lineares kann lineare Verluste nicht ausgleichen.
Den Rückgang beim Medienkonsum lässt sich auf die sinkende lineare Mediennutzung von TV und Radio zurückführen. Diese Verluste können non-lineare Angebote der Streaming-Dienste nicht ausgleichen, da ihre vor einigen Jahren noch starke Wachstumsdynamik stagniert, sowohl im Audio- als auch im Video-Bereich.
Was Video betrifft, so hat sich die non-lineare Nutzung deutlich in der Bevölkerung etabliert. Erst ab einem Alter von 50 Jahren entfällt mehr Nutzungszeit auf lineares Fernsehen als auf non-lineare Angebote. Es steht zu erwarten, dass in naher Zukunft mediale Bewegtbild-Angebote überwiegend zeitunabhängig genutzt werden.
Audio-Angebote werden dagegen in der Gesamtbevölkerung weiterhin überwiegend linear genutzt. 71 Prozent der täglichen Reichweite (117 von 164 Minuten) entfallen auf die klassische lineare Radionutzung (-7% im Vergleich zu 2023), während 29 Prozent auf Podcasts, Radiosendungen auf Abruf im Internet, auf Musik-Streaming-Plattformen etc. entfallen.
Auch bei Podcasts stagniert die Nutzung. Konnten sie 2020 und 2021 signifikant die wöchentliche Reichweite vergrößern, ist seitdem ein unverändertes Plateau erkennbar. Insgesamt ist der Trend zur non-linearen Nutzung damit in den letzten Jahren zwar erkennbar, läuft aber im Vergleich zum TV relativ gemäßigt ab.
Folge: Die deutsche Medienlandschaft läuft auf ein zunehmend fragmentiertes Nutzungsspektrum der Verbreitungswege hinaus. Dies erfordert von Unternehmen immer stärker eine integrierte Kommunikation. Auch die Podcast-Nutzung muss überprüft werden, wächst das Publikum bei der wachsenden Zahl von Podcasts nicht mit.
3️⃣ Streaming für Jüngere, Mediatheken für alle
Während kommerzielle Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime Video vor allem von jüngeren Nutzern bevorzugt werden, hat die ältere Generation eine höhere Affinität zu den öffentlich-rechtlichen Mediatheken.
So erreichen die Mediatheken der Fernsehsender die Altersgruppen deutlich gleichmäßiger und übergreifender als Video-Streaming-Dienste, bei denen es ein ausgeprägtes Altersgefälle gibt. Dies sollte niemanden überraschen.
4️⃣ Social Media Nutzung fällt.
Die Social-Media-Nutzung bei Menschen ab 14 Jahren ist um 8 Punkte auf 60 Prozent gestiegen, getragen von der Gruppe der 50- bis 69-Jährigen. Dies wird in vielen Beiträgen zur Studie betont.
Aber Achtung: Dies betrifft die wöchentliche Nutzung. Die Zielgruppen für uns Kommunikatoren sind die täglichen Nutzerinnen und Nutzer. Und deren Zahl ist gefallen. So fällt die Social-Media-Tagesreichweite mit 31 Prozent gegenüber dem Vorjahr um 4 Punkte geringer aus, quer durch alle Aktivitäten wie liken, sharen, posten oder Videos und Storys ansehen.
Die Sättigung scheint also weiterzugehen, das Wachstumspotenzial ist erschöpft. Damit entsprechen diese Zahlen auch der Entwicklung, die ich in meinem Buch „Das Ende von Social Media“ bereits skizziert habe.
Folge: Social Media Nutzung hat ihren Höhepunkt überschritten. Wer heute noch damit punkten will, muss Social Media stärker werblich sehen bzw. deutlich intensiver in die Gesamtkommunikation einbinden – stets bezogen auf definierte Zielgruppe und Ziele.
5️⃣ TikTok für die Jungen, Facebook für die Alten, Instagram für alle
Die Alterspyramide bei den Plattformen bleibt erhalten. Facebook ist stabil bei einer täglichen Nutzung von 21 Prozent geblieben. Während der blaue Riese vor allem bei Älteren beliebt ist, flieht die Gen Z daraus weiter (-6%). Bei deren Medienkonsum wächst dagegen TikTok weiterhin kräftig (+10%).
Instagram bleibt die größte Plattform (täglich 26%, +6%) und hat sich damit seit 2020 fast verdoppelt. Dies liegt immer stärker auch daran, dass neben den Fokus-Altersgruppe Y und Z die Plattform immer stärker generationsübergreifend die Menschen erreicht.
Folge: Jede Generation hat weiterhin ihre eigene Plattform: X auf Facebook, Y und Z auf Instagram, Z auf TikTok. Diese gilt es daher individuell zu bespielen – und dies gilt gerade auch werblich.
6️⃣ YouTube dominiert Video.
YouTube bleibt mit Abstand die größte Video-Plattform. 68 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren haben zumindest gelegentlich Kontakt mit Videos oder Live-Streams auf der zu Google gehörenden Plattform. Auch der Anteil der Menschen ist mit 19 Prozent hoch, die YouTube täglich nutzen, wöchentlich sind es sogar über 40 Prozent.
Folge: Angesichts dieser Zahlen frage ich mich wie jedes Jahr, warum nicht mehr Unternehmen ihre Präsenz auf- bzw. weiter ausbauen – in Kombination mit YouTube SEO und begleitenden YouTube Ads. Dies vor dem Hintergrund, dass es keine andere Plattform gibt, um die Menschen so generationsübergreifend zu erreichen.
7️⃣ Einen Twitter-Nachfolger gibt es nicht.
Laut der Studie nutzen weiterhin 3 Prozent der Deutschen X. Der Twitter-Exodus wegen Elon Musk lässt sich kaum feststellen. Während es bei Threads und Mastodon noch 1 Prozent tägliche User haben, fällt diese Zahl bei Bluesky unter die 1%-Schwelle.
Am ehesten – so die Studie – könnte das Machtvakuum mit Threads neu besetzt werden. Die Instagram-Tochter scheint in einer Nische kurz nach Markteintritt eine Relevanz erzielt zu haben, die den beiden X-Alternativen Mastodon und Bluesky verwehrt bleibt.
Folge: Einen Marktführer bei diesem vorwiegenden Text-Medium gibt es nicht. Gleichzeitig hat keine der Plattformen wirklich breite Relevanz. Das heißt, aus heutiger Sicht spielen X und seine »Nachfolger« Nebenrollen im Gefüge digitaler Kommunikation, die nur bei Nischenthemen interessant sein könnte.
Kommen wir zu den beiden großen Tiefpunkten der Studie:
1️⃣ Wo bitte ist LinkedIn?
Auch nach dem Lesen aller publizierter Unterlagen bleibt mir völlig unklar, warum die Studie LinkedIn weggelassen hat, böse könnte ich »vergessen hat« schreiben. Schließlich ist es – Stand heute – die einzige Business-Plattform und die einzige Plattform, in denen noch „traditionelles“ Social-Media-Kommunikation funktionieren kann.
Warum fehlt sie? Erachten die Studienautorinnen und -autoren LinkedIn als nicht relevant bei der Mediennutzung in Deutschland? Oder kommt da noch etwas?
2️⃣ Wo ist WhatsApp, abgesehen von Channels?
Die Einführung von WhatsApp-Kanälen hat die Studie zum Anlass genommen, erstmals deren Nutzung zu erfassen. So hat gut die Hälfte der Bevölkerung (56%) von WhatsApp-Kanälen schon etwas gehört; die aktive Nutzung fällt mit 14 Prozent deutlich geringer aus, von denen immerhin 40 Prozent bereits mit den zur Verfügung stehenden Emojis reagiert haben. Besonders nachgefragt sind Nachrichten, regionale Themen und Sport.
Doch kommen wir zur großen Frage: Warum werden die Channels untersucht, aber nicht WhatsApp selbst? Wo ist generell der Einblick in die Nutzung von Messengern, wie in den letzten Jahren?
Neugierig gefragt: Wurde dies bei der Zusammenlegung der Studien weggekürzt? Schließlich ist WhatsApp sicherlich das digitale Hauptinstrument der Deutschen. Und dies sicherlich nicht nur wegen der neuen Channels. Traurig.😞
Einfach gesagt: Die neue ARD/ZDF-Medienstudie ist wieder ein hilfreiches Instrument, um seine bisherigen Aktivitäten im Bereich digitaler Kommunikation zu überprüfen oder neu auszurichten. Jedoch bleiben bei mir doch auch einige Fragen übrig.