In den letz­ten Mona­ten sind immer wie­der zwei Ent­wick­lun­gen zu beob­ach­ten, die auf­ein­an­der pral­len und doch die zwei Hälf­ten eines neu­en gro­ßen Gan­zen erge­ben: Die ver­stärk­te pas­si­ve Nut­zung der Sozia­len Medi­en und das immer mäch­ti­ge­re Auf­kom­men der Messenger-Kommunikation.

Nicht nur in Deutsch­land son­dern auch welt­weit wer­den Sozia­le Netz­wer­ke wie Face­book & Co. ver­stärkt pas­siv genutzt. Immer mehr Nut­zer fokus­sie­ren sich aus­schließ­lich auf das Beob­ach­ten, das Lesen, das Ver­fol­gen, maxi­mal das Kom­men­tie­ren. Dies zeigt sich nicht nur in meh­re­ren natio­na­len wie inter­na­tio­na­len Stu­di­en wie bei­spiels­wei­se dem Social Media-Atlas von Fak­ten­kon­tor (sie­he Abb.). Die anfangs schlei­chen­de und heu­te immer deut­lich sicht­ba­re­re Ver­än­de­rung im Ver­hal­ten spie­gelt sich auch in allen mei­nen Coa­chings und Semi­na­ren in den ver­gan­ge­nen 12 Mona­ten wie­der. Und die meis­ten hier wer­den dies eben­falls an ihrem eige­nen Ver­hal­ten oder dem ihrer Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, Freun­de, Part­ner, Kol­le­gen beob­ach­ten können.

Infografik: Passiv im sozialen Netz | Statista

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Dazu kommt: Je jün­ger die Men­schen sind, des­to radi­ka­ler und ein­deu­ti­ger ist der Schwenk zu erken­nen. Vie­le von ihnen haben bei­spiels­wei­se Face­book nicht ver­las­sen, wie immer wie­der ger­ne geschrie­ben wird; sie haben sich viel­mehr in die Pas­si­vi­tät zurück­ge­zo­gen. Ganz ver­ein­facht gesagt heißt es für sie und für immer mehr Men­schen: Pos­ten und erzäh­len ist “out”, lesen und angu­cken bleibt “in”. Solch eine Aus­sa­ge gilt jedoch nur für den öffent­li­chen Raum.

Das Begeh­ren nach pri­va­ter Kommunikation
Denn auf der ande­ren Sei­te sind die Mes­sen­ger-Diens­te wei­ter mas­siv am wach­sen. Ihre Erfolgs­rei­se nach oben scheint kein Ende und kei­ne Gren­zen zu fin­den. Hun­der­te Mil­lio­nen bis Mil­li­ar­den Nut­zer haben Whats­App, Face­book Mes­sen­ger, WeChat, Line, Wire, Three­ma, Tele­gram oder auch Snap­chat instal­liert, um die Chat-Kanä­le vor allem für ihre pri­va­te Kom­mu­ni­ka­ti­on zu nut­zen. Ten­denz wei­ter wachsend.

“Die Zei­ten sind dem­nach vor­bei, in denen User in den Social Media alles von sich preis­ge­ben. Unge­niert ihre Bil­der, Anek­do­ten und Geschich­ten pos­ten oder sich öffent­lich mit ande­ren Nut­zern kon­struk­tiv aus­tau­schen. Inter­es­siert doch sowie­so kei­ne Sau”, schreibt Ste­fan Schütz auf Ziel­bar. Plötz­lich steht das Begeh­ren nach einer deut­lich pri­va­te­ren, per­sön­li­che­ren, indi­vi­du­el­le­ren, ja inti­me­rer Kom­mu­ni­ka­ti­on im Vor­der­grund. Und genau dafür bie­ten die viel­fäl­ti­gen Mes­sen­ger das per­fek­te Werk­zeug. Gut lässt sich damit der Run auf Whats­App & Co. erklä­ren, war­um allein die Face­book-Toch­ter mit rund 40 Mil­lio­nen Nut­zer in Deutsch­land eine der­art hohe Beliebt­heit genießt, war­um selbst Daten­schutz­be­den­ken bei der täg­li­chen Nut­zung kaum eine Rol­le spie­len und war­um sich die Mes­sen­ger gleich­zei­tig per Update den Nut­zer­wün­schen stän­dig neu anzu­pas­sen und gerecht zu wer­den ver­su­chen. Schließ­lich schläft die Kon­kur­renz auf dem immer här­te­ren Markt nicht.

Von der Many-to-Many zu One-to-One
Bei­de nur schein­bar gegen­sätz­li­che Ent­wick­lun­gen las­sen sich unter einen gemein­sa­men Nen­ner stel­len: Die Men­schen ver­la­gern ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on aus der Öffent­lich­keit ins Pri­va­te. Oder wie es in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­spra­che heißt: Von einer Many-to-Many- zu einer One-to-One-Kom­mu­ni­ka­ti­on oder maxi­mal einer One-to-Many-Kom­mu­ni­ka­ti­on. Um die­se drei Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge kurz zu klä­ren: “One-to-One ” beschreibt den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwei­er Indi­vi­du­en wie beim E‑Mail-Ver­kehr oder bei einem Mes­sen­ger, wie in Gesprä­chen, in einer Bera­tung oder beim Kun­den­ser­vice. “One-to-Many” bezeich­net die Kom­mu­ni­ka­ti­on von einer Per­son mit meh­re­ren wie beim E‑Mail-News­let­ter oder bei den Broad­cast-Lis­ten von Whats­App. Die kom­ple­xes­te Form ist die “Many-to-Many-Kom­mu­ni­ka­ti­on”, bei der gera­de in Netz­wer­ken vie­le mit vie­len kommunizieren.

Über vie­le Jah­re hin­weg war eigent­lich „Many-to-Many” der Inbe­griff ins­be­son­de­re für das Social Web. Gera­de in den Sozia­len Netz­wer­ken tausch­ten sich vie­le mit vie­len ande­ren zu The­men oder betei­lig­ten sich an Dis­kus­sio­nen. Die Men­schen hat­ten fest­ge­stellt, wie es Pro­fes­sor Peter Kru­se ist sei­nem legen­dä­ren Kurz­vor­trag vor der Enquête-Kom­mis­si­on des Deut­schen Bun­des­ta­ges sag­te, dass es auch span­nend sei, sich im Netz­werk dar­zu­stel­len und Spu­ren zu hin­ter­las­sen. Und dies öffent­lich. Doch was pas­siert nun?

Snaps sind die pri­va­ten Chats
Die Men­schen begin­nen gera­de, ihre Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten immer stär­ker von der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on – was ins­be­son­de­re den Bran­chen­rie­sen Face­book betrifft – in geschlos­se­ne, pri­va­te Berei­che zu ver­schie­ben, wo sie sich mit ein­zel­nen Freun­den indi­vi­du­ell oder maxi­mal inner­halb von Grup­pen mit aus­ge­wähl­ten Mit­glie­dern und damit Gleich­ge­sinn­ten aus­tau­schen. Plötz­lich domi­niert damit die per­sön­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on, das „One-to-One“ im Social Web – abge­se­hen von den wei­ter­hin belieb­ten Grup­pen. Keh­ren wir damit – zumin­dest ein biss­chen – zu den Anfän­gen der Kom­mu­ni­ka­ti­on zurück? Und wie müs­sen die Orga­ni­sa­tio­nen dar­auf reagieren?

Auf der einen Sei­te hat dies Face­book selbst erkannt und will den Bei­trä­gen der eige­nen Freun­de wie­der eine grö­ße­re Sicht­bar­keit geben – zu Las­ten der Unter­neh­men. Doch wird dies Nut­zer dazu bewe­gen, sich mit ihren Inhal­ten wie­der ver­stärkt der Öffent­lich­keit zuzu­wen­den? Ich habe mei­ne Zweifel.

Auf der ande­ren Sei­te set­zen sich immer mehr Unter­neh­men, Insti­tu­tio­nen, Medi­en mit Whats­App-Ser­vices und Mes­sen­ger-Chat­bots aus­ein­an­der, um über den Weg die Nut­zer in ihrer neu­en pri­va­ten Umge­bung zu errei­chen. Doch Vor­sicht: Bis auf die Teil­neh­mer der Social Media Bubble nutzt die aller­größ­te Mehr­heit die Mes­sen­ger rein im pri­va­ten Umfeld. Bei­spiel Snap­chat: Wer mit jün­ge­ren Nut­zern spricht, dem fällt eines auf: Die Snap­chat Sto­ries oder der Dis­co­ver Bereich spie­len für sie kaum eine Rol­le. Statt­des­sen ver­sen­den sie hun­der­te, manch­mal sogar tau­sen­de Snaps pro Tag an ihre Freun­de – also wie­der pures One-to-One. Für sie sind die kur­zen Bil­der die Sto­ries in ihrem ganz pri­va­ten Chat. Nur was pas­siert, wenn sich jetzt immer mehr Unter­neh­men dazwi­schen schal­ten wollen?

Res­sour­cen, Res­sour­cen, Ressourcen
Ich habe den Ein­druck, dass sich Orga­ni­sa­ti­on künf­tig dar­auf kon­zen­trie­ren müs­sen, die Bedürf­nis­se ihrer Nut­zer noch stär­ker ken­nen zu ler­nen – Stich­wort lebens­lan­ge Stake­hol­der-Ana­ly­se. Sie müs­sen akzep­tie­ren, dass die Nut­zer sie bei ihren Gesprä­chen nicht dabei haben wol­len. Wenn sie sich den­noch ein­mi­schen und unge­schickt dazwi­schen drän­gen, zie­hen sich die Nut­zer zurück – zu einem ande­ren der täg­lich neu ent­ste­hen­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le. Par­al­lel müs­sen sie viel genau­er und schnel­ler als bis­her erken­nen, an wel­chen Stel­len sie auf deren indi­vi­du­el­le Bedürf­nis­se, auf deren drin­gen­de Fra­gen, auf deren rele­van­te Wün­sche mit wirk­li­chem Mehr­wert reagie­ren können.

Dies stellt sie wie­der­um vor zwei eng ver­bun­de­ne Her­aus­for­de­run­gen: Um Fra­gen und Bedürf­nis­se erken­nen und beant­wor­ten zu kön­nen, wer­den sie sich immer mehr von grö­ße­ren Ziel­grup­pen ver­ab­schie­den müs­sen, son­dern sich statt­des­sen auf kleins­te Micro-Ziel­grup­pen bis hin zum indi­vi­du­el­len Dia­log fokus­sie­ren. Ob sie die­se dann per Ser­vice-Bot, per Mes­sen­ger-Chat, per Whats­App-Broad­cast-Lis­te, per Siri oder per tra­di­tio­nel­lem E‑Mailing bedie­nen, spielt eine weit­aus gerin­ge­re Bedeutung.

Viel wich­ti­ger ist bei der Ent­wick­lung die zwei­te Her­aus­for­de­rung: Unter­neh­men und Insti­tu­tio­nen wer­den mas­siv an Res­sour­cen zule­gen müs­sen, um indi­vi­du­el­le Bedürf­nis­se zu erken­nen, zu ana­ly­sie­ren und die­se dann auch im Dia­log und dazu kon­ti­nu­ier­lich befrie­di­gen zu kön­nen. Ansons­ten wer­den sie nicht mehr wahr­ge­nom­men – ob als One-to-One‑, als One-to-Many- oder als Many-to-Many-Partner.

 

***** VORMERKEN: Neu­es Strategie-Buch *****
Domi­nik Rui­sin­ger: Die digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie. Pra­xis-Leit­fa­den für Unter­neh­men; mit Case-Stu­dies und Exper­ten-Bei­trä­gen; für eine Kom­mu­ni­ka­ti­on in digi­ta­len Zei­ten. ab 11/​2016, Schäf­fer-Poe­schel Ver­lag, hier vor­be­stel­len.