Another End of Social Media?!

24.10.2022

In den letzten 4 Wochen durfte ich 4 Vorträge halten: zu sehr unterschiedlichen Anlässen, zu sehr unterschiedlichen Themen, an sehr unterschiedlichen Orten. Doch meine Kernaussage war immer dieselbe: Das Ende von Social Media ist da, zumindest so wie wir Social Media bisher kannten. Warum New Friends künftig unsere Best Buddys ersetzen sollen, dies will ich in diesem Gedankenspiel etwas näher erläutern.

Gehen wir ein paar Jahre zurück – sagen wir zu einer Zeit, bevor gerade TikTok die Branche revolutionierte. Wir alle hatten unsere Facebook-, Instagram-, YouTube-, ja sogar XING-Accounts, öffneten (fast) täglich unsere Timeline und ließen uns von den Beiträgen unserer Freunde zum Lachen oder Weinen bringen, zum Fluchen oder Amüsieren oder einfach informieren. Dann kam die Werbung. Doch das war zu erwarten. Dann kam TikTok. Und plötzlich wurde alles anders.

Und nein, damit meine ich nicht die Idee von Kurzvideos. Nein. Denn dies war nix Neues. Aber: Die Freunde, das eigene Netzwerk, die persönlichen Verbindungen waren mit einem Schlag unnötig geworden. Wo einst Connections sowohl für die Inhalte als auch für die Sichtbarkeit der eigenen Inhalte sorgten, waren es plötzlich die Empfehlungen eines Algorithmus‘, der sich nicht mehr an bisherigen Verbindungen, sondern an Interessen orientierte.

Social Media: One-Hit-Wonder ohne Fans

Positiv gesagt: Mit einem Moment war es möglich, mit dem ersten jemals publizierten Video, besser TikTok, eine extreme hohe Sichtbarkeit zu bekommen, einen Run, oft ein One-Hit-Wonder, auf jeden Fall mit hohen Abrufzahlen. Weil der Algorithmus diesen Beitrag so schätzte, weil die gespielten Inhalte, die Hashtags, ja sogar der Sound auf der Plattform aktuell so beliebt waren. Und die eigene Community? Dieser eigene Fankreis spielte keine Rolle; okay, beim ersten Video gab es diesen eh noch nicht. Das heißt: Die algorithmische Beliebtheit des Contents hatte das menschliche Gesicht des Netzwerkes ersetzt.

Und was passierte? Gerade die jungen Menschen – und nur auf diese haben es die Netzwerke abgesehen, wie ich es kürzlich in einem anderen Gedankenspiel geschildert hatte – waren begeistert. Die App-Downloads und Aufrufe gingen durch die Decke, Instagram verlor beträchtlich an Sichtbarkeit und vor allem an Verweildauer, und Mark Zuckerberg brüllte verzweifelt: Wir müssen jünger werden – und dies auf allen Netzwerken. Gesagt, getan.

New Friends statt Best Buddies

Also verabschiedeten sich Instagram und Facebook von „unserem“ Social Media, also von den Inhalten und Interaktionen verbundener Freunde, Fans und Follower. Sie shifteten um zu einem von Algorithmen dominierten, auf Empfehlungen basierenden Modell der Content-Distribution – mit Fokus auf Video. So meinte Mark Z: „Eine der wichtigsten Veränderungen in unserem Geschäft besteht darin, dass soziale Feeds nicht mehr in erster Linie von den Accounts, denen man folgt, angetrieben werden, sondern zunehmend von KI, die Inhalte empfiehlt, die man auf Facebook oder Instagram interessant findet, selbst wenn man den Creatorn nicht unbedingt folgt.“

Diese Umstellung läuft auf Hochtouren, sodass laut Mark bis Ende 2023 der KI-Anteil schon 30 Prozent betragen soll. Und auch wenn Kylie Jenner, der Kardashian-Clan & Co. laut schrien: „Wir wollen die Bilder unserer Freundinnen und Freunde zurück“, blieben Zuck, Adam Mosseri & Co. hart: Die Welt verändert sich, und Instagram und Facebook müssen sich dem anpassen. Wobei sie mit dem Verändern natürlich TikTok meinten.

Friend graphs can’t compete in an algorithmic world

Plötzlich landeten wir überall in derselben Content-Blase, da sich die eingespielten Inhalte am bereits ausgespieltem und beliebtem Content orientierten. Wie langweilig. Warum sollten wir überall das Gleiche mittels der gleichen Formate, Filter, Sounds, Vorlagen posten und sehen? Natürlich wiesen uns die Plattformen eifrig darauf hin, dass wir weit mehr als unsere Blase erleben konnten. Aber erreichte dies uns?

Die Netzwerke lobten, dass wir auf diese Weise Menschen – Creators – besser erreichen könnten, die uns noch nicht kannten. Aber was war mit unseren Connections? Das Ganze wirkte plötzlich so, als würden wir von den Partys unserer Best Buddys ausgeladen werden und stattdessen zu wildfremden Partys geschickt werden, um neue Menschen kennenzulernen. Aber wollen wir das? Und verstehen wir unter dem Begriff „social“ nicht gerade auch die Beziehungspflege mit Friends? „Friend graphs can’t compete in an algorithmic world“, schreibt Michael Mignano in seinem bemerkenswerten und von mir bereits öfters zitierten Essay.

Unternehmen ab in den Extra-Feed

Was lernen wir daraus? Ja, das Ziel dieser TikTokification ist eindeutig: Menschen sind nicht mehr so wichtig. Die Recommendations der Algorithmen mit aktuellem Fokus auf Kurz-Videos bestimmen die Inhalte. Und die Posts unserer Friends & Followers? Die werden wie bei Facebook in die Neben-Feeds verbannt. Und die Inhalte unserer sorgfältig aufgebauten Gruppen? Landen ebenfalls in den Nebenfeed, den kaum jemand wahrnehmen wird.

Und die Seiten der Unternehmen und Institutionen, die über die Jahre so sorgfältig gefüttert worden waren, mit Inhalten, mit viel Zeit, mit intensivem Community Management und mit noch mehr Werbegeldern hochgezüchtet? Ja, auch diese bekommen ihren Extra-Feed – im Abseits. Und sind damit weg aus dem Aufmerksamkeitsfenster des Haupt-Feeds. Und damit auch der bisherigen Fans, Follower, Kundinnen, Partner, Interessenten.

Videos für die jüngeren, Ads für die Älteren

Hmmm, was soll ich denn jetzt als Unternehmen machen? „Schalte Ads“, schreien Facebook, Instagram & Co. „Mache Reels, Shorts und TikToks“, rufen die Social Media Coaches und Agenturen. Und wenn ich über kein gutes Videomaterial verfüge, zumindest nicht kontinuierlich? Pech gehabt. Und wenn meine – damned … – ältere Zielgruppe kein wirklicher Fan von Kurz-Videos ist? Bekommt sie trotzdem. Schade um sie. Zudem bleiben ja noch die Ads.

Aha, jetzt ist mir endlich klar, welche Idee dahintersteckt: die Jungen über Video-Content und angesagte Themen, Hashtags, Sounds, die Älteren über Ads. Ist das dann noch das bekannt-beliebt-bisherige Social Media? Wohl kaum. Es ändert sich einiges. Aber wie sagt man so schön: Wer sich nicht bewegt, der verliert – vor allem an Sichtbarkeit und Relevanz. Wer nicht sichtbar und damit findbar ist, der existiert für die meisten Menschen nicht. Zumindest für die anvisierte junge Zielgruppe.

Revival der integrierten Kommunikation

Damit wird immer klarer, wie die künftige Welt der Kommunikation aussehen wird. Social Media wird bei Zielgruppen, die nicht Generation Z oder Y heißen – und das ist zumindest bei uns die große Mehrheit –, nur noch eine vornehmlich werblich geprägte Nebenrolle spielen. Stattdessen erleben traditionelle Kanäle der digitalen Kommunikation wie Webseiten, E-Mail-Newsletter, Apps, aber auch SEO und SEA ein notwendiges Revival. Weil wir diese Menschen in einer von Algorithmen bestimmten und auf deren Empfehlungen beschränkten Welt ansonsten nicht mehr erreichen.

Ist das eine so große Umstellung? „The chaos at social networks is a reminder that any platform with that kind of power should never be your only – or even your primary – way of communicating with your audiences”, schreibt Allison Carter bei PR Daily.

Aber wussten wir nicht eigentlich schon immer, dass wir uns nicht auf fremde Plattformen allein fokussieren und damit abhängig machen sollten? Eigentlich doch ja. Aber hatte die Begeisterung für die pulsierende Social Media Welt vielleicht diesen Gedanken etwas vernebelt?

Aber das ist ein anderes Thema für ein weiteres Gedankenspiel.

Copyright: Photo by Mike Moloney on StockSnap

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