Wir leben immer stärker in einer von KI und Algorithmen geprägten Kommunikationszeit. Welche strategischen Konsequenzen sollten wir aus dieser Entwicklung ziehen? Auf Basis von 7 Trends sehe ich 7 notwendige Strategien für 2026.

Vor gut einem Jahr habe ich das Buch »Das Ende von Social Media«, warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen, publiziert. Und gut 1,5 Jahre später habe ich das Gefühl, dass das Buch aktueller denn je ist. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass die »Social Media Idee«, die wir kannten, ihren Social-Charakter endgültig verloren hat. Leider.

In diesem Gedankenspiel will ich auf einige aktuelle Entwicklungen blicken, um daraus dann strategische Empfehlungen für das Jahr 2026 ableiten zu können. Also eine etwas andere Trend-Vorschau.


7 Entwicklungen aus 2025.

Blicken wir zuerst auf 7 Entwicklungen aus diesem Jahr, die die damaligen Buch-Aussagen deutlich bekräftigen:

  1. Algorithmen haben die Macht über unsere Feeds übernommen.
    Im Herbst habe ich dazu selbst eine größere Analyse publiziert, zu der ich meine Feeds auf LinkedIn, Instagram und Facebook unter die Lupe genommen habe. Das Ergebnis: Wir müssen uns von den Beiträgen unserer Freunde, Fans und Netzwerkpartner verabschieden.
  2. Die Plattformen haben sich zu Filterblasen entwickelt.
    Das erkennen wir daran, dass wir fast nur noch Beiträge zu den Themen erhalten, die uns in der Vergangenheit bereits interessiert haben. Wer dies erkennt, sollte radikal seine Feeds nach seinen Wünschen erziehen.
  3. Unterhaltung statt Gespräche, Lurker statt Producer.
    Die (Video-)Plattformen werden vor allem für passives Entertainment und etwas Infotainment genutzt, unabhängig davon, ob der Content-Produzent Mensch oder KI ist. Dies wird sich weiter verschärfen, wenn – inspiriert vom Erfolg der YouTube-TV-App – bald TikTok und Instagram eigene TV-Apps auf das Smart-TV bringen.
  4. KI hat die Social Media Branche fest im Griff.
    Automatisierter, seelenloser, generischer AI Slop füttert immer stärker Text- und Video-Kanäle. Wenn Meta & Co. ihre automatisierten Ads per KI ausrollen und uns auffordern, Kommentare und Ads doch einfach per KI zu formulieren: Wozu braucht es den Menschen noch?
  5. Social-Media-Kanäle sind heute Suchorte.
    Und dies gilt für Themen, Trends, Jobs, People. Wer also mit Social-SEO darauf nicht reagiert, bleibt unsichtbar. Und dies kann sich kaum jemand in einer Zeit erlauben, in der beispielsweise Instagram-Inhalte verstärkt in der Google-Suche findbar sind.
  6. Organisationen haben ihre organische Sichtbarkeit verloren.
    Dies belegen auch die regelmäßigen Analysen von Richard van der Blom auf LinkedIn. Einzige Auswege: Sie benötigen Ads und/oder aktive Mitarbeitenden. Daraus folgt der nächste Punkt.
  7. Digital bzw. besser Paid Media hat das organische Social ersetzt.
    Dazu genügt ein Blick auf die hohe Anzahl an Ads, an die Boosting-Option von eigenen Postings bei LinkedIn, an die geplanten Monetarisierungs-Optionen bei WhatsApp. Und das ist mit Sicherheit erst der Anfang.

7 Strategien für 2026.

All diese Entwicklungen beobachten und erleben wir täglich, ertragen sie und hinterfragen sie. Doch was bedeutet dies für die eigene Kommunikationsstrategie? Für mich gibt es 7 strategische Ansätze, die wir im Jahre 2026 verstärkt spielen müssen:

Strategie 1: Hört auf, Fans & Followers zu zählen.
Wer heute noch Fans zählt oder sich für ein Follower-Wachstum lobt, hat den Schuss nicht gehört. Die Plattformen interessieren sich nicht dafür: TikTok noch nie, YouTube fast nie und die anderen kaum mehr. Fan-Wachstum ist etwas für das eigene Ego oder den naiven Chef. Heute geht es vielmehr darum, nachweisen zu können, auf welches Unternehmensziel der Content – egal ob organisch oder paid, egal auf welcher Plattform – konkret einzahlt. Und dies können Bewerbungen, Downloads, Newsletter-Abos, Imagewandel u.v.a.m. sein.

Strategie 2: Jede (!) organische Idee benötigt eine Paid-Strategie.
Unsere Fans, Follower und mühsam aufgebauten Communitys bekommen unsere Inhalte kaum mehr zu sehen. Damit sich organische Beiträge überhaupt rechnen, müssen wir sie mit einer Paid-Strategie begleiten – und zwar bei allen Themen und Inhalten, die für uns von Relevanz sind. Und egal auf welcher Plattform. Wer auf immer mehr und auch immer teurere Ads verzichtet, verliert seine Sichtbarkeit.

Strategie 3: Authentizität ist mehr als ein Modebegriff.
Schon jetzt sehen wir immer mehr seelenlose, generisch erzeugte und teils automatisiert verbreitete Inhalte in Beiträgen und sogar in Kommentaren. Angesichts der KI-Fluten wird der überstrapazierte Begriff Authentizität eine Renaissance erleben, wie ich schon im Buch betont habe. Nur so können sich Menschen und Organisationen nach außen als attraktives Etwas zeigen, das etwas zu sagen hat. Und das Ganze gerne als Tandem von Mensch und KI – aber bitte mit dem Menschen am Steuer. (Dazu wird es bald was Neues in Buchform zu lesen geben)

Strategie 4: It’s time for Thought Leaders.
Wenn wir uns beispielsweise die aktuellen Pläne bei LinkedIn rund um das Thema 360Brew ansehen – Franziska Bluhm hat es kompakt zusammengefasst –, dann geht es künftig nicht mehr um Viralität, sondern um Relevanz und Konsistenz bei der Vermittlung von Kerninhalten. Dies eröffnet die Chance, einzelne Personen als authentische Expertinnen und Experten zu positionieren; und dies unabhängig von der Plattform und natürlich mit Ad-Unterstützung.

Strategie 5: Show your Knowledge, dear Experts.
Eng mit Punkt 4 verbunden: Wer künftig mit seinen Inhalten Sichtbarkeit erhalten will, der benötigt Expertise, Einzigartigkeit und damit eine klare Positionierung. Wer dies vermittelt, bekommt Sichtbarkeit bei Menschen wie Maschinen, gerade im KI-Zeitalter. Dies kann über einen Social Kanal, einen Newsletter, einen Blog, einen Podcast oder eine Community erfolgen. Wer dagegen den berühmten Bauchladen liefert, verliert. Denn das können andere und vor allem die KI mindestens genauso gut.

Strategie 6: Enabling ist der Sichtbarkeitsfaktor.
Organisationen benötigen dringender als je zuvor aktive Mitarbeitende. Nur so werden sie mit ihren Botschaften noch ihre Zielgruppen erreichen. Das haben viele begriffen, was sich im Wachstum der Programme, der Corporate Influencer Map und der LinkedIn-Gruppe meines geschätzten Kollegen Klaus Eck zeigt. Nur: Reicht das aus? Langfristig müssen wir dieses Enabling tiefer in die gesamte Organisation hineintreiben, wie ich kürzlich in einem anderen Gedankenspiel ausführlich diskutiert habe.

Strategie 7: Generations-Denken ist out.
Die Zeit ist vorbei, in der wir sinnieren, welche Inhalte besser zu welcher Generation passen bzw. welche Generation wir über welche Plattform erreichen. In einer heterogenen Welt spielen gemeinsame Interessen eine größere Rolle. Die Kernfrage aller Strategien lautet: An welchen aktuellen Themen, die in der jeweiligen Community bzw. auf der jeweiligen Plattform diskutiert werden, können wir inhaltlich andocken? Nur auf Interessengruppen bezogene Strategien helfen uns wirklich weiter.

One more thing.

Mitte November hat mich ein Artikel bei DWDL nachdenklich gemacht. Der Titel: »Wie viel KI verkraftet Social Media?« Denn die Frage ist nicht nur für Social Media durchaus berechtigt, wenn wir daran denken,

  • wie KI-Musik-Videos made by Suno die Billboard-Charts erklimmen;
  • wie Meta mit Vibes und bald auch OpenAI reine KI-Video-Netzwerke erstellen;
  • wie Elon Musk die alte App Vine mit reinen KI-Videos relaunchen will;
  • wie konträr die Diskussionen um echt oder falsch, reell oder nicht reell, künstlich oder menschlich verlaufen.

Letztendlich liegt es an uns, wie viel KI die Branche verträgt oder ob irgendwann nur noch die KI sich mit der KI unterhält und wir Menschen zusehen. Ist das die Lösung?

Nur eines bin ich mir sicher: Wenn ich an das Vordringen der KI, an die Einflüsse der Algorithmen, an die Macht der Werbung denke, dann sollten wir uns im Jahr 2026 endgültig vom Namen »Social Media« verabschieden. Denn um den Austausch von Menschen geht es nun wirklich schon lange nicht mehr.