Unse­re Spra­che benö­tigt drin­gend mehr grau!

03.05.2021

Die Dis­kus­si­on um die ver­un­glück­te Kam­pa­gne #alles­dicht­ma­chen hat eines mal wie­der ver­deut­licht: Unse­re Dis­kus­si­ons­kul­tur ist kaputt. Rich­tig kaputt. Wir ken­nen näm­lich nur noch schwarz oder weiß, gut oder böse, dafür oder dage­gen. Grau­tö­ne? Fehl­an­zei­ge. Dabei machen die­se doch unser Zusam­men­le­ben aus, oder?! Ein klei­nes Plä­doy­er in den Gedan­ken­spie­len für die wun­der­ba­re Far­be Grau.

Wer sich die Dis­kus­sio­nen in der ver­gan­ge­nen Woche rund um die miss­lun­ge­ne und teils anti­de­mo­kra­tisch gefärb­te Video-Kam­pa­gne #alles­dicht­ma­chen näher ansieht oder anhört, dem fällt eines auf: Die Men­schen den­ken hier­zu­lan­de offen­bar aus­schließ­lich in Kate­go­rien: Bist du nicht dafür, dann bist du dage­gen. Stimmst du mir nicht zu, gehörst du zu den ande­ren. Bist du nicht mei­ner Mei­nung, liegst du falsch. „In west­li­chen Gesell­schaf­ten macht sich ein gefähr­li­cher Trend bemerk­bar: Mei­nungs­frei­heit nur bei denen gut zu fin­den, die der­sel­ben Mei­nung sind“, beschreibt der Han­dels­blatt News­let­ter die­se Hal­tung ziem­lich tref­fend. Wir bestim­men also, was rich­tig oder was falsch ist. Und wir bau­en um unse­re Mei­nung eine Wagen­burg auf und ver­ban­nen die Anders­den­ken­den direkt auf die ande­re Straßenseite.

Eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Spaltung

Nun: Die Dis­kus­sio­nen rund um die­se Video­se­rie sind nur ein wei­te­res Bei­spiel dafür, dass es um die hie­si­ge Dis­kus­si­ons­kul­tur wirk­lich schlecht bestellt ist. Dabei lässt sich die­se kom­mu­ni­ka­ti­ve Spal­tung – die­ses tief­schwarz vs. blü­ten­weiß – schon seit meh­re­ren Jah­ren beobachten:

  • Stich­wort Geflüch­te­te: Wer nicht Geflüch­te­te “wel­co­me refu­gees” heißt, ist ein Nazi. Und umgekehrt.
  • Stich­wort Coro­na­vi­rus: Wer nicht den Ein­schät­zun­gen von Dros­ten & Co. folgt, ist ein Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker. Und umgekehrt.
  • Stich­wort gen­der­ge­rech­te Spra­che: Wer nicht auf das Gen­der-Stern­chen steht, ist ein Fan des alten wei­ßen Man­nes. Und umgekehrt.

Die­se Lis­te lie­ße sich noch ewig wei­ter füh­ren. Viel­leicht schei­nen die­se Gegen­sät­ze eini­gen hier über­trie­ben. Doch wer­den die Dis­kus­sio­nen genau so geführt – ins­be­son­de­re in den Sozia­len Netz­wer­ken. Übri­gens nicht nur in Deutsch­land. In den USA — Stich­wort Trump, Stich­wort Black Lives Mat­ter etc. – hat sich die Gesell­schaft radi­ka­li­siert, was sich dort nicht nur kom­mu­ni­ka­tiv, son­dern auch in der Aus­gren­zung nur ein biss­chen anders den­ken­der Men­schen bis hin zu einem fata­len Sturm auf das Kapi­tol nie­der­schlug. Die Men­schen gren­zen sich also gegen­sei­tig aus, weil sie die Mei­nung ande­rer nicht mehr akzep­tie­ren. Das soll unse­re Zukunft sein?

Die Bei­spie­le ver­deut­li­chen, wie stark Spra­che und Wör­ter die Gesell­schaft spal­ten kön­nen. Und zwar mas­siv. Davon pro­fi­tiert nie­mand. Ganz im Gegen­teil. Wir ent­fer­nen uns immer stär­ker von­ein­an­der. Freun­de wer­den zu Geg­ner, Nach­barn beäu­gen sich miss­trau­isch, Freun­de wer­den sprach­los. Und stopp. Es geht nicht dar­um, alles zuzu­las­sen. Jeder und jede muss eige­ne Gren­zen zie­hen – gegen­über anti­de­mo­kra­ti­schem Gedan­ken­gut, gegen­über Radi­ka­li­sie­rung, gegen­über Men­schen­ver­ach­tung. Jeder muss sich bewusst machen, ab wann es heißt “bis hier hin und nicht wei­ter”. Aber ist die­se Gren­ze wirk­lich blü­ten­weiß oder tief­schwarz? Was ist mit den berühm­ten Zwi­schen­tö­nen, den Grau­tö­nen, die für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Dis­kus­si­on so wich­tig sind?

Die wich­ti­ge Far­be Grau

Vor rund 25 Jah­ren gab es eine wun­der­vol­le Film-Tri­lo­gie des pol­ni­schen Regis­seurs Krzy­sz­tof Kie­s­low­ski: Bleu, Blanc, Rouge – also Blau, Weiß, Rot. Heu­te möch­te ich die­ser 3‑Far­ben-Tri­lo­gie eine wei­te­re Far­be hin­zu­fü­gen: Das Grau. Nein, sie ist nicht mei­ne Lieb­lings­far­be; ich zie­he den blau­en Him­mel durch­aus dem grau­en vor. Aber das Grau ist so emi­nent wich­tig. Und so viel­fäl­tig. Schließ­lich ver­fügt es über so vie­le Nuan­cen: Kühl und warm, dun­kel und hell, zurück­hal­tend und exzen­trisch mit hun­der­ten von Abstu­fun­gen. Vor allem kom­men all die­se mit­ein­an­der so gut aus. Denn “Grau kennt kei­ne Gren­zen”, wie das Ein­rich­tungs­haus Mey­er­hoff über die Wand­far­be grau schreibt. Genau dies gilt nicht nur für Böden, Wän­de oder Decken. Son­dern ganz ins­be­son­de­re auch für die Mei­nun­gen von Menschen.

Genau die­se Far­be müs­sen wir wie­der drin­gend in uns ent­de­cken. Wir müs­sen ver­stärkt die Töne in der Spra­che zulas­sen, die nicht zu unse­rem Schwarz oder Weiß gehö­ren – ohne aber unse­ren eige­nen Wer­te­ka­non zu ver­las­sen. Folg­lich müs­sen wir mit­ein­an­der spre­chen, viel stär­ker ande­ren zuhö­ren, sie ver­ste­hen zu ver­su­chen, also “gemä­ßigt mit­ein­an­der dis­ku­tie­ren, ein­an­der kri­ti­sie­ren und Ein­ge­ständ­nis­sen Respekt zol­len”. Ansons­ten bewe­gen wir uns nur noch in unse­rer klei­nen Blase.

Sprach­lich “abrüs­ten” Rich­tung Diskussionskultur

Grau ist alles ande­re als trist. Es ist die wich­ti­ge Ver­bin­dung zwi­schen den Polen schwarz und weiß. Und genau auf die­ser end­lo­sen Grau-Ska­la zwi­schen die­sen bei­den Polen müs­sen wir uns vor­sich­tig annä­hern – und mit­ein­an­der zu kom­mu­ni­zie­ren ver­su­chen. Nur dann wer­den wir es ver­mei­den, dass sich unse­re Gesell­schaft noch stär­ker in zwei Lager auf­teilt. Der Schau­spie­ler Ulrich Matthes meint: “Ich kann wirk­lich nur gera­de­zu fle­hent­lich dar­um bit­ten, auf bei­den Sei­ten abzu­rüs­ten, mit­ein­an­der im Gespräch zu blei­ben oder über­haupt wie­der ins Gespräch zu kom­men.”

Die­ses Fle­hen muss jedoch drin­gend weit über die­se eine Video-Akti­on hin­weg­ge­hen. Sie muss unse­re gesam­te Dis­kus­si­ons­kul­tur erfas­sen. Ansons­ten wer­den wir uns irgend­wann nur noch in unse­ren klar abgrenz­ten Bla­sen und Lagern befin­den, die sich feind­lich gegen­über ste­hen. Und davon wird letzt­end­lich nie­mand pro­fi­tie­ren. Dis­kus­si­ons­kul­tur? Fehl­an­zei­ge. Scha­de. Um uns alle.

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