Ein Flughafen, eine Fluglinie, Technologie und ein verwirrter Kunde

12.05.2019

Sind wir schon so weit, dass wir blind der Technologie vertrauen? Dass wir Fehler bei Systemen ausschließen? Dass deren Ergebnisse unfehlbar sind? Diese Fragen schossen mir vorgestern durch den Kopf, als ich eine Situation erleben durfte, die ich mir absurder nicht hätte vorstellen können. Also erzähle ich mal eine Long Story – über eine Fluglinie, einen Flughafen, seine unfehlbare Technologie und einen verwirrten Gast – und der bin natürlich ich.

Fliegen soll möglichst einfach sein …. naja. Fast immer.

Beginnen wir ganz am Anfang am ersten Tatort dieser absurden Story: Flughafen Stuttgart. Vergangenen Sonntag flog ich von Stuttgart nach Amsterdam mit KLM, um die CDISC Europe Interchange Konferenz als Organisator zu betreuen. Das klappte auch – der Flug, die Ankunft, die Konferenz, die Technik (naja, fast). Am Freitag sollte es nachmittags zurückgehen. Zumindest sagte mir dies mein Flugticket. Und damit begann ein Verwirrspiel in 8 Akten, das ganz entscheidend vom Faktor Technologie beeinflusst wurde.

Akt 1: Lost in KLM oder: Der gestrichene Passagier

Beim Online-Check-In 6 Stunden vor Abflug hieß es auf der KLM-Webseite plötzlich und unmissverständlich: „Ihr Flug wurde gecancelt. Bitte kontaktieren Sie uns.“ Spontan dachte ich an ein technisches Problem, das sich sicherlich lösen ließe. Am einfachsten telefonisch – trotz der viel gelobten Social Media-Kanäle der Fluglinie. Das darauf folgende Telefonat mit der wirklich netten KLM-Mitarbeiterin lief in etwas wie folgt ab:

  • Sie: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Wie kann ich Ihnen helfen.“ (Sie kannte meinen Namen durch meine Anmeldung per Flying Blue Account).
  • Ich (noch zuversichtlich): „Mein Flug wurde gecancelt. Darum soll ich mich bei Ihnen melden.
  • Sie: „Ich muss mal kurz nachsehen. (Stille). Nein, Herr Ruisinger. Ihr Flug wurde nicht gecancelt. Sie wurden gestrichen.
  • Ich (stammelnd, verwirrt, verwundert): „Ich? Bitte was? Warum denn das?
  • Sie: „Sie haben Ihren Hinflug nicht angetreten. Deshalb wurde Ihr Rückflug gestrichen.
  • Ich: „Aber ich bin doch am Sonntag mit Ihnen von Stuttgart nach Amsterdam geflogen?
  • Sie: „Nein!
  • Ich: „Doch!
  • Sie: „Nein!
  • Ich: „Aber doch!
  • Sie: „Unser System sagt eindeutig nein.
  • Ich: „Dann haben Sie einen Fehler in Ihrem System.
  • Sie: „Nein, das kann nicht passieren. Aber ich erkunde mich mal weiter. Bitte haben Sie etwas Geduld.

Akt 2: Nach 7 Minuten Wartezeit.

  • Sie: „Herr Ruisinger. Vielen Dank fürs Warten. Leider sagen alle unsere Systeme, dass Sie vergangenen Sonntag nicht geflogen sind. Zumindest nicht mit uns.
  • Ich (langsam von einer verwirrten in die genervte Haltung mich wandelnd): „Bitte? Aber das ist völliger Blödsinn. Wie wäre ich denn dann am Sonntag von Stuttgart aus fliegend um 12 Uhr in Amsterdam angekommen, wo ich ein Pre-Meeting mit dem Event-Manager des Konferenzhotels hatte? Da gab es keine anderen Flüge.
  • Sie: „Das kann schon sein. Nur sagen unsere Systeme eindeutig, dass Sie nicht mit uns geflogen sind.
  • Ich: „Doch. Und meine digitale Bordkarte?
  • Sie: „Die beweist nichts, da sie Ihnen direkt von unserem System zugewiesen wurde.“ (Damit hatte sie in unser papierlosen Zeit recht.)
  • Ich: „Aber nochmals: Wie bin ich denn dann nach Amsterdam gekommen?
  • Sie: „Ich verstehe Sie ja. Nur unser System sagt: Mit uns nicht.
  • Ich: „Aber doch. Ich kann mich ja sogar noch an den Flug erinnern – an eine kleinere Maschine mit jeweils zwei Sitzen pro Seite.
  • Sie: „Das genügt uns nicht als Beweis. Sie müssten uns schon beweisen, dass Sie mit uns geflogen sind, damit wir an einer anderen Lösung arbeiten könnten. Zum Beispiel mit einem Selfie, das Sie an Bord gemacht haben …
  • Ich (stärker genervt): „Naja, Sonntag morgens um 9 Uhr auf einem Business-Flug ist mir nicht nach Selfies zumute. Daher nein, so etwas habe ich nicht.
  • Sie: „Fällt Ihnen denn sonst irgendetwas Außergewöhnliches auf, das Ihre Anwesenheit beweisen könnte?
  • Ich: „Nein. Ein ganz normaler Flug, wie so häufig im Monat als Frequent Flyer. Was können wir denn jetzt machen?“ (parallel schon auf Swoodoo nach Flug-Alternativen recherchierend …)
  • Sie: „Ich werde mich mal weiter schlau machen.

Akt 3: Nach 3 Minuten Unruhe.

  • Sie: „Herr Ruisinger. Vielen Dank fürs Warten. Könnten Sie mal überlegen, ob Ihnen nicht doch zu Ihrem Flug etwas einfällt? Ich werde Ihnen jetzt ein Formular per E-Mail schicken, in dem Sie möglichst genau schildern sollten, wie Ihr Flug verlaufen ist. Denken Sie bitte an Details, an Besonderheiten, an Geschehnisse – alles könnte relevant sein.“ (also so wie Kommissare immer Zeugen befragen …)
  • Ich (innerlich wie äußerlich maulend): „Aber es war doch ein ganz normaler Flug ….
  • Sie: „Versuchen Sie es doch. Denn dann könnten wir nachprüfen, ob Sie wirklich mit uns geflogen sind.
  • Ich (verzweifelt): „Aber das bin ich doch …
  • Sie: „Ich verstehe Sie ja wirklich. Aber versuchen Sie alles zu beschreiben … Wenn es klappt, dann könnte ich Sie auf einen späteren Flug buchen. Denn Ihr Flug ist schon weg.
  • Ich: „Bitte wassss???
  • Sie: „Ja, dieser wurde durch Ihr Nicht-Antreten freigegeben. Und jetzt ist der Flug ausgebucht.
  • Ich (genervt nachdenkend – so funktionieren also die Doppel-Bookings der Fluglinien): „Und jetzt?
  • Sie: „Wenn Sie beweisen können (auf welcher Seite liegt eigentlich die Beweispflicht?), dass Sie mit uns geflogen sind, könnte ich sehen, ob ich Sie auf einen späteren Flug buchen kann.
  • Ich: „Ähhhh. Okay. Ich werde es versuchen. Aber es war wirklich ein ganz normaler Flug.“ (ich erinnere mich eigentlich immer nur an die wirklichen Horrorflüge …)
  • Sie: „Und dann rufen Sie 15 Minuten nach dem Absenden bei uns wieder an. Dann hoffen wir, Ihre E-Mail gelesen zu haben.
  • Ich (genervt drohend): „Ich werde es versuchen …. Ich kann nur sagen, dass wenn es mit dem Flug nicht klappt, wir alle ein verdammt großes Problem erhalten …
  • Sie (fast flehend): „Ja, das kann sein. Aber schreiben Sie uns doch bitte diese Mail.
  • Ich (verstummt): „Okay.

Akt 4: Dann kam die folgende E-Mail.

Akt 5: Und darauf meine E-Mail.

Akt 6: 15 Minuten später: Ich rufe die KLM-Hotline wieder an.

  • Neue Person: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Wie kann ich Ihnen helfen.“
  • Ich: „Guten Tag. Mir wurde mein Flug gestrichen, weil ich anscheinend meinen Hinflug nicht angetreten bin, was nicht stimmt.“
  • Sie: „Ach herrje. Das tut mir aber leid.“
  • Ich: „Ich habe alles bereits mit Ihrer Kollegin besprochen. Auch dass ich eine E-Mail schicken soll, in der ich meinen Flug beschreibe. Und das habe ich schon getan. Haben Sie diese in der Zwischenzeit gelesen?“
  • Sie: „Einen Moment …. Nein, noch nicht. Den Inhalt müssen wir natürlich erst in Ruhe prüfen.“
  • Ich: (innerlich aufplusternd beim Gedanken an „in Ruhe“ …) „Und wie lange dauert das jetzt?“
  • Sie: „Wir rufen Sie spätestens in einer Stunde zurück.“

Akt 7: Knapp 1 Stunde später: Der nächste Anruf – dieses Mal wieder von Person 1.

  • Sie: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Ich habe eine gute Nachricht für Sie. Durch Ihre Beschreibung des Mannes neben Ihnen konnten wir diesen identifizieren (keine Ahnung, wie das geschehen konnte). So konnten wir nachvollziehen, dass Sie wirklich mit uns geflogen sind.
  • Ich: „Ah. Guuut. Und jetzt?
  • Sie: „Ich habe Sie jetzt auf den Flug von 20.20 Uhr umgebucht. (Anmerkung: Dieser würde später 80 Minuten Verspätung haben.) Ein Ticket geht Ihnen spätestens in 2 Stunden zu, da ich vorher noch zu einer Fortbildung muss. Dann rufe ich Sie auch nochmals an.
  • Ich: „Und wie ist es mit dem Thema Kompensation?
  • Sie: „Darüber können wir dann auch sprechen.
  • Ich: „Okay. Ich bin gespannt.

Akt 8: 1 Stunde später: Sie ruft wirklich an.

  • Sie: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Ich bin schon 1 Stunde früher dran. Ich habe Ihnen gerade eine Mail mit Ihrem Ticket geschickt. Haben Sie dieses erhalten?
  • Ich: (online recherchierend im leicht verlangsamten Hotel-WLAN-Netz): „Ja, habe ich erhalten. Und wie komme ich jetzt an meinen Bordpass?
  • Sie: „Da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Aber online müsste das klappen – ich habe die Möglichkeit bei Ihnen gerade freigeschaltet.
  • Ich: (online recherchierend auf der wirklich nicht üblen KLM-Webseite): „Ja, stimmt, das schaffe ich jetzt gut. Und was ist jetzt mit der Kompensation?
  • Sie: „Das ist eine andere Abteilung. Dazu gehen Sie am Besten auf unserer Webseite über den Navigationspunkt Kundendienst auf den Punkt „Beschwerden und Lob„, und füllen Sie dort das Formular mit allen Details aus.
  • Ich (etwas erleichtert): „Vielen Dank. Ansonsten möchte ich Ihnen persönlich noch für Ihre tolle Hilfe in den letzten Stunden danken.
  • Sie: „Auch Ihnen vielen Dank für Ihre Geduld und einen guten Flug.

Wenn die Technik den Mann zur Frau macht

So weit so absurd. Jetzt könnte man diese Story als ein KLM-Bashing verstehen; aber das soll es auf keinen Fall sein. Gerade die Mitarbeiterin – Originalton: „So einen Fall hatte ich auch noch nie …“ – hat gut und sauber auf diese – hoffentlich seltene – Situation reagiert. Mir stellen sich jedoch ganz andere und viel gravierendere Fragen:

  1. Rechtlich: Das Streichen eines Rückfluges bei Nicht-Antreten eines Hinfluges empfinde ich persönlich als ziemlich absurd – und war mir so auch nicht bekannt. Eine kleine Rückfrage im Freundeskreis brachte ein ähnliches Ergebnis. Auch wenn es anscheinend bei vielen Fluglinien Usus ist und vielleicht in den Tiefen der AGBs bei der Flugbuchung in winziger Schriftgröße 4 vorhanden ist: Müsste es nicht deutlich stärker hervorgehoben werden, damit dies jeder Reisende sofort mitbekommt? Oder müsste nicht zumindest jeder Reisende, der seinen Hinflug beispielsweise aus Krankheitsgründen nicht antreten konnte, explizit auf das Streichen seines Rückfluges hingewiesen werden? Also besteht hier nicht ein verstärktes Informationsrecht? Ich wäre ja gespannt, was hier die Juristen bisher herausgefunden haben. Denn das Thema Fluggastrechte ist in den letzten Jahren immer wieder positiv aufgeploppt.
  2. Menschlich: Das Zusammenspiel zwischen Technik und Mensch funktionierte hier nicht wirklich reibungslos. Ein Check-In beispielsweise am Flugsteig hätte auf diese Weise gar nicht möglich sein dürfen. Denn mein Fall könnte bedeuten, dass ich gar nicht eingecheckt wurde. Damit würde ich auf der Passagierliste gar nicht stehen, obwohl ich ja mitfliege. Damit würde eine ungeklärte Differenz zwischen Headcount und Passagierliste bestehen. Zumindest scheinen hier menschlich und/oder technisch klare Fehler beim Check-In-Prozess vorgefallen sein. Müsste solch ein – aus Sicht der Flugsicherheit – dramatischer Vorfall nicht sofort hoch-eskaliert werden, um solche Geschehnisse in Zukunft unter allen Umständen zu vermeiden? Denn wenn man sich vorstellt, was passieren könnte ….
  3. Technisch: Sind wir schon so weit, dass wir blind der Technologie vertrauen? Dass wir Fehler bei Systemen ausschließen? Dass deren Aussagen immer korrekt und unfehlbar sind? Und wenn nicht, dass wir Systemen persönlich das Gegenteil beweisen müssen? Was ist, wenn ein Körper-Scanner oder ein ähnliches System plötzlich über mich sagen würde: „Dominik, du bist eine Frau“ – und nein, das bin ich wirklich nicht. Und ich plötzlich dem Scanner beweisen müsste, dass ich wirklich keine Frau bin? Nein, das ist überhaupt kein absurdes Beispiel. Genau in diese Richtung drehen wir uns gerade – durch unser blindes Vertrauen in eine scheinbar unfehlbare Technologie – immer im Zusammenspiel mit dem Menschen zu sehen. Haben wir uns schon ausreichend Gedanken gemacht, was passiert, wenn diese wie gesagt scheinbar unfehlbare Technologie doch versagt? Wie eindeutig in meinem Fall – weshalb ich wegen der Unannehmlichkeiten nochmals an KLM herantreten werde.

Jeder, der mich kennt und/oder mir auf meinen Kanälen folgt, der weiß, dass ich mich viel mit neuen Technologien, veränderter Kommunikation, mit den Chancen wie den besonderen Herausforderungen in einer immer stärker technologisierten und digitalisierten Gesellschaft auseinandersetze. Daher bin ich weit davon entfernt, hier die Technologie zu bashen. Nur bin ich durch solche und ähnliche Vorkommnisse immer stärker im Zweifel, ob wir mit unserer hohen Technologie-Vertrautheit nicht einige Schritte schon zu weit sind – und dabei der menschlichen Kontrolle (unbewusst) weniger Bedeutung beimessen.

Wir stellen Technologie als praktisch unfehlbar darstellen. Nur ist sie das ist nicht – und wird es auch niemals sein.

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