Nein, wir sind noch nicht alle online!

Nein, wir sind noch nicht alle online!

Es gibt Phrasen, auf die ich etwas allergisch reagiere. Und die ich in meinen Trainings und Workshops regelmäßig thematisiere: Die beliebte gutgläubige Aussage, dass ganz Deutschland im Internet ist. Denn dies ist nicht wahr. Verdammt. Noch nicht. Leider, wie ich als Berater für digitale Kommunikation zugeben muss.

Vor wenigen Tagen hieß es zum Beispiel im Teaser eines Blog-Beitrags bei news aktuell: „Mittlerweile ist das World Wide Web (…) fest im Alltag nahezu aller Deutschen etabliert. Wie bereits im Vorjahr sind inzwischen 90 Prozent der Gesamtbevölkerung online. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der diesjährigen ARD/ZDF-Onlinestudie.“ 

Von halbwahren Zahlen und Aussagen …

Naja! Diese Aussage ist gerade mal halbwahr. Denn nicht 90 Prozent der Gesamtbevölkerung sind bei uns online. Vielmehr heißt es in der erwähnten Grundlagenstudie, die im Auftrag der ARD/ZDF-Forschungskommission von KANTAR durchgeführt wurde: „2019 nutzen rund 90 Prozent der Bevölkerung das Internet zumindest gelegentlich.“ Also vielleicht ab und zu, vielleicht wöchentlich, vielleicht monatlich, über den eigenen oder einen fremden Internet-Zugang. So fest ist das WWW also doch noch nicht im Alltag der deutschen Gesamtbevölkerung etabliert.

Key Facts der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019
Key Facts zur ARD/ZDF-Onlinestudie 2019

Im nächsten Blog-Absatz heißt es dann korrekt: „50 Millionen Menschen in Deutschland sind täglich online.“ Das bedeutet: Bezogen auf die tägliche Nutzung des Internets haben laut ARD/ZDF-Onlinestudie genau 71 Prozent der Befragten angegeben, an einem normalen Tag online gewesen zu sein. Also doch nicht ganz Deutschland – und dazu mit beträchtlichen Unterschieden zwischen den Altersstufen. Übersetzt heißt dies: 29 Prozent und damit fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung nutzen täglich nicht das Internet, weil sie in der großen Mehrheit „generell kein Interesse am Internet / an diesem Medium“ haben, wie der D21-Digital-Index 2018/2019 konkretisiert.

… die zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Jetzt könnte jemand die Unterscheidung als kleinlich und meine Aufregung als dünnhäutig bezeichnen. Für mich nicht. Als Kommunikator denke ich in Zielgruppen – wie dies auch Unternehmen und Institutionen tun (sollten). Und gerade solche Studien und Aussagen bestimmen die kommunikative Planung ganz vieler Organisationen entscheidend mit. Falsch interpretierte Aussagen führen dazu, dass sie ihr komplettes Budget in den digitalen Bereich umschichten, da ja heute „jeder online ist“ und ich meine Zielgruppen nur noch dort erreichen kann.

Nur: Bei 90 Prozent gelegentlicher und „nur“ 71 Prozent täglicher Nutzung: Werde ich wirklich jeden erreichen können? Wohl kaum. Nicht mal theoretisch. Denn dass eine Person, die gelegentlich online ist, zufällig auf mein Online-Angebot, meinen Social Media Kanal, meinen Blog-Beitrag treffen wird, ist nicht wirklich wahrscheinlich – trotz aller SEO-, Ads-, Content-Marketing-, Social Media- und Messenger-Anstrengungen. Es kommt also auch in heutiger Zeit noch auf den richtigen Mix, also auf eine strategisch geplante integrierte Kommunikation an, um Stakeholder passgenau mit den eigenen Inhalten zu erreichen – unabhängig ob digital oder analog.

Dazu mein Ratschlag: Jeder sollte sich solche Zahlen und Statistiken genauer anzusehen und diese auf Basis der eigenen zu erreichenden Zielgruppen detailliert für sich analysieren. Nur so wird er die adäquate Gewichtung für seine Content-, Media- und Kanalplanung finden. Und dazu stehen neben der ARD/ZDF-Onlinestudie weiteres hilfreiches Datenmaterial beispielsweise über die Markt-Media-Studie „daily digital facts“ der agof oder den erwähnten und von mir geschätzten D21-Digital-Index zur Verfügung.

Wenn wir doch etwas online affiner wären …

An einem Bahnhof in Deutschland im Jahre 2019
An einem Bahnhof irgendwo in Deutschland im Jahre 2019

Ein Zielgruppen-Allheilmittel ist das WWW mit seinen Kanälen – bis heute – definitiv nicht, und das Social Web erst recht nicht. Und wenn ich mir die langsame Entwicklung bei uns betrachte – Thema WLAN-Verbreitung, Surf-Geschwindigkeit, rechtliche Bedenken, interne Hindernisse innerhalb der Organisationen und politisches Unwissen – Stichwort „Ja, Digitalisierung ist jetzt sicher nicht mein Spezialbereich, aber ein absolutes Zukunftsthema“ der damals neuen bayrischen Digitalministerin Judith Gerlach –, dann wird dies auch so noch eine Weile bleiben. Wie gesagt, leider.

Daher: Erst lesen, dann interpretieren, dann umsetzen. Und dabei das logische Denken bitte nicht vergessen! ;-)))

Meine Gedankenspiele: 10 Lesetipps aus dem September 2019

Meine Gedankenspiele: 10 Lesetipps aus dem September 2019

Es wird langsam kalt in Deutschland. Was gibt es also Gemütlicheres, sich mit einem gepflegten Espresso und gutem Lesestoff in die nächste Ecke auf’s Sofa zu verziehen? Ich habe dafür mal wieder 10 Lesetipps rund um die digitale Kommunikation zusammengestellt.

Der Erklärbär aus den Gedankenspielen von Dominik Ruisinger
Der Erklärbär erklärt ab und zu mal wichtige Begriffe.

Und jetzt? Weiter lesen in meinem Blog „Gedankenspiele“.

Verschont mich endlich mit euren Pressemitteilungen!

Verschont mich endlich mit euren Pressemitteilungen!

Ich mag keine Pressemitteilungen!

Es bringt nichts. Es bringt nichts. Es bringt nichts. Diesen Satz will man 1000fach Agenturen und Institutionen ins Gesicht schleudern, die freie und feste Journalisten, Blogger, Influencerinnen und sonstige arme und unschuldige Menschen mit ihren Pressemitteilungen zuschütten. Und zwar nach dem Gießkannenprinzip. Kaum ist ein neues Thema ausgeheckt und die Pressemitteilung geschrieben, schon wird sie sofort an den gesamten Verteiler versendet. Und zwar an alle. Wirklich alle! Ob es die Empfänger wollen oder nicht – egal – Hauptsache raus. Schließlich geht es ja um Reichweite! Ein kleiner Rant.

PM-Versand nach Gießkannenprinzip bringt nichts. Punkt.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass diese Unart – gerade auch in Zeiten des Social Webs, des Content Marketings und der stärkeren Dialogorientierung – dem Ende zugeht. Völliger Irrtum! Werfe ich einen Blick in meinen Post-Eingang, was sich dorthin in den letzten Wochen und Monate alles verirrt hat (solange ich es noch nicht gelöscht habe oder es sich selbstständig in den vollen Spam-Ordner verdrückt hat), dann finde ich da Themen von Absendern wieder, die mich an vielem zweifeln lassen.

Ein kleiner Überblick über die letzten Monate – mit übrigens meist grandios aussagekräftigen Betreffzeilen:

[mt_list style=“square“]
  • B-Team-Tour 2019 – Start am 19. August– „Wählen gehen für ein weltoffenes Brandenburg“
    => Ja, wählen gehen ist wichtig. Sicher. Nur was habe ich mit einer B-Team-Tour zu tun? Und schreibe ich über Politik?
  • 6. Alternativer Drogen- und Suchtbericht – Einladung zur Pressekonferenz am 05.07. in Berlin.
    => Sicherlich ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen. Nur was soll ich denn auf dieser Pressekonferenz anfangen?
  • New Releases – Juni 2019„.
    => Wow! Eine wirklich einmalige Hammer-Betreffzeile. Und weiter: „Dein monatlicher Input zu den neuen Releases von BMGPM.“ Das könnte ja spannend sein. Aber warum denn für mich? Was wollt ihr denn von mir???
  • Pressemitteilung: Social Match gewinnt Stefan Mauerer, Susanne Marell und Niklas Heinen als Beiräte.
    => Uiii, da scheint mich noch jemand im Verteiler zu haben, aus einer Zeit, als ich vor rund 7 Jahren beim PR-Journal als Redakteur tätig war. Hat da etwa jemand seit 7 Jahren nicht seinen Presseverteiler aktualisiert?
  • Pressemitteilung mit der Bitte um Würdigung? (…) „aus gegebenen Anlass möchten wir Ihnen eine Pressemittelung übergeben. Dieser Vorgang ist einmalig in der Geschichte der BRD!!
    => Moment: Erstens heißt es immer noch „Pressemitteilung“ – also Sorgfalt scheint hier nicht hoch im Kurs zu stehen; und zweitens: „Einmalig in der Geschichte der BRD“ mit 2 Ausrufezeichen!! – Donnerwetter! Muss ich das wissen? Nein. Aber so ganz sicher war sich der Absender dann doch nicht. Oder was sollte das neckische Fragezeichen am Ende der Betreffzeile?
Pressemitteilungen per Füllhorn-Prinzip bringen nichts. Ganz im Gegenteil.
Pressemitteilungen per Füllhorn-Prinzip bringen einfach nichts! Verstanden?!

[mt_list style]

Wie gesagt: Es könnte durchaus sein, dass es sich um interessante, relevante Themen handelt. Aber einfach nicht für mich. Warum erhalte ich als unschuldiger Coach für digitale und strategische Kommunikation denn all diese Informationen? Und ich lasse die vielerlei Einladungen zu Produkt-Tests, Beauty-Produkten oder zu Musical-Premieren mal weg …

[mt_list style=“square“]
  • Aktualität: Weil die Unternehmen, Institutionen und Agenturen völlig veraltete, niemals wirklich aktualisierte Presseverteiler haben.
  • Aufwand: Weil sich keiner der Absender die Mühe gemacht hat, mal zu sehen, über was ich in meinem kleinen, persönlichen Blog ab und zu berichte.
  • Verständnis: Weil bei diesen anscheinend Masse (Zahl der Empfänger) statt Klasse (Qualität der Empfängerinnen) zählt.
[/mt_list]

An der Wand als Negativ-Beispiel

Wie schade doch. Heißt es nicht in allen Ratgebern, wie natürlich auch in unserem eigenen Fachbuch „Public Relations. Leitfaden für ein modernes Kommunikationsmanagement„, das ich bald mit meinem lieben Kollegen Oliver Jorzik aktualisieren darf: Sorgfalt, Recherche sowie Aufbau und Pflege persönlicher Beziehungen sind die Grundlagen für jede Medienarbeit sowie für erfolgreiche Blogger und Influencer Relations. Eigentlich. Warum hält sich denn dann bitte nicht jeder dran? Hilfe!

Mit solch einer Vorgehensweise tun sich die Absender einen Bärendienst: Stellen wir uns einfach mal vor, was passiert, wenn eine Agentur ausnahmsweise ein relevantes Thema für den Journalisten oder die Bloggerin hätte. Werden diese dies mitbekommen? Nein. Denn alle Mails des Absenders landen bereits automatisch im Spam-Filter, im Ordner „Unwichtig“ oder werden übersehen.

Und noch eine letzte Frage: Ist es eigentlich erlaubt, so etwas zu verschicken? Ich bin kein Anwalt. Aber aus meinen Trainings weiß ich, dass eine geschäftliche Beziehung und ein vom Versender nachweisbares Einverständnis vorliegen muss, damit solche Informationen per E-Mail verschickt werden dürfen. Ansonsten spricht man von Spam. Und liegt diese Einwilligung in meinem Fall vor? Natürlich nicht! Warum spamt ihr mich dann bitte voll?!

Darum – bitte bitte bitte: Einfach lassen!
Das bringt nix. Punkt. Bei mir landen solche Pressemitteilungen nur in Workshops zu moderner Medienarbeit an den Wänden – als Beispiel, wie man es definitiv nicht macht. Endlich verstanden?!

Meine Gedankenspiele: 10 Lese-Tipps aus dem Juni 2019

Meine Gedankenspiele: 10 Lese-Tipps aus dem Juni 2019

Schon wieder ist ein Monat vergangen. Höchste Zeit also, meine Juni-Lese-Tipps in meinen Gedankenspielen zu kommunizieren. Dieses Mal u.a. mit Beiträgen zur Unternehmenskommunikation wie auch zur Werbung in digitalen Zeiten.

Meine Gedankenspiele: 10+1 Lese-Tipps aus dem Mai 2019

Meine Gedankenspiele: 10+1 Lese-Tipps aus dem Mai 2019

Gedankenspiele - die Lese-Tipps von Dominik Ruisinger
Gedankenspiele – die Lese-Tipps zur Digitalen Kommunikation von Dominik Ruisinger

Wenn auch ein paar Tage verspätet habe ich wieder 10+1 Lesetipps aus dem Mai 2019 rund um digitale Kommunikation zusammengestellt. Dieses Mal liegt der Fokus auf einer spannenden digitalen Roadmap, auf einer Präsentation zum Online-Marketing der Zukunft, auf den Strategie-Techniken SWOT und Persona, auf Basics zu Responsive Design, zu Google Ads und Pinterest Ads sowie auf dem Hinweis auf eine neue und wertvolle Creative Commons Suchmaschine.

  • Meine Story | Wie beweise ich Fluglinien meinen Flug?
    Ein Flug nach Amsterdam und zurück. Eigentlich einfach? Doch was dann passierte, schildert mein Gedankenspiel mit den Protagonisten: Fluglinie KLM, Flughafen Stuttgart, ein gestrichener Flug, sonderbare Automatismen und ein verwirrter Fluggast.

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Ein Flughafen, eine Fluglinie, Technologie und ein verwirrter Kunde

Ein Flughafen, eine Fluglinie, Technologie und ein verwirrter Kunde

Sind wir schon so weit, dass wir blind der Technologie vertrauen? Dass wir Fehler bei Systemen ausschließen? Dass deren Ergebnisse unfehlbar sind? Diese Fragen schossen mir vorgestern durch den Kopf, als ich eine Situation erleben durfte, die ich mir absurder nicht hätte vorstellen können. Also erzähle ich mal eine Long Story – über eine Fluglinie, einen Flughafen, seine unfehlbare Technologie und einen verwirrten Gast – und der bin natürlich ich.

Fliegen soll möglichst einfach sein …. naja. Fast immer.

Beginnen wir ganz am Anfang am ersten Tatort dieser absurden Story: Flughafen Stuttgart. Vergangenen Sonntag flog ich von Stuttgart nach Amsterdam mit KLM, um die CDISC Europe Interchange Konferenz als Organisator zu betreuen. Das klappte auch – der Flug, die Ankunft, die Konferenz, die Technik (naja, fast). Am Freitag sollte es nachmittags zurückgehen. Zumindest sagte mir dies mein Flugticket. Und damit begann ein Verwirrspiel in 8 Akten, das ganz entscheidend vom Faktor Technologie beeinflusst wurde.

Akt 1: Lost in KLM oder: Der gestrichene Passagier

Beim Online-Check-In 6 Stunden vor Abflug hieß es auf der KLM-Webseite plötzlich und unmissverständlich: „Ihr Flug wurde gecancelt. Bitte kontaktieren Sie uns.“ Spontan dachte ich an ein technisches Problem, das sich sicherlich lösen ließe. Am einfachsten telefonisch – trotz der viel gelobten Social Media-Kanäle der Fluglinie. Das darauf folgende Telefonat mit der wirklich netten KLM-Mitarbeiterin lief in etwas wie folgt ab:

  • Sie: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Wie kann ich Ihnen helfen.“ (Sie kannte meinen Namen durch meine Anmeldung per Flying Blue Account).
  • Ich (noch zuversichtlich): „Mein Flug wurde gecancelt. Darum soll ich mich bei Ihnen melden.
  • Sie: „Ich muss mal kurz nachsehen. (Stille). Nein, Herr Ruisinger. Ihr Flug wurde nicht gecancelt. Sie wurden gestrichen.
  • Ich (stammelnd, verwirrt, verwundert): „Ich? Bitte was? Warum denn das?
  • Sie: „Sie haben Ihren Hinflug nicht angetreten. Deshalb wurde Ihr Rückflug gestrichen.
  • Ich: „Aber ich bin doch am Sonntag mit Ihnen von Stuttgart nach Amsterdam geflogen?
  • Sie: „Nein!
  • Ich: „Doch!
  • Sie: „Nein!
  • Ich: „Aber doch!
  • Sie: „Unser System sagt eindeutig nein.
  • Ich: „Dann haben Sie einen Fehler in Ihrem System.
  • Sie: „Nein, das kann nicht passieren. Aber ich erkunde mich mal weiter. Bitte haben Sie etwas Geduld.

Akt 2: Nach 7 Minuten Wartezeit.

  • Sie: „Herr Ruisinger. Vielen Dank fürs Warten. Leider sagen alle unsere Systeme, dass Sie vergangenen Sonntag nicht geflogen sind. Zumindest nicht mit uns.
  • Ich (langsam von einer verwirrten in die genervte Haltung mich wandelnd): „Bitte? Aber das ist völliger Blödsinn. Wie wäre ich denn dann am Sonntag von Stuttgart aus fliegend um 12 Uhr in Amsterdam angekommen, wo ich ein Pre-Meeting mit dem Event-Manager des Konferenzhotels hatte? Da gab es keine anderen Flüge.
  • Sie: „Das kann schon sein. Nur sagen unsere Systeme eindeutig, dass Sie nicht mit uns geflogen sind.
  • Ich: „Doch. Und meine digitale Bordkarte?
  • Sie: „Die beweist nichts, da sie Ihnen direkt von unserem System zugewiesen wurde.“ (Damit hatte sie in unser papierlosen Zeit recht.)
  • Ich: „Aber nochmals: Wie bin ich denn dann nach Amsterdam gekommen?
  • Sie: „Ich verstehe Sie ja. Nur unser System sagt: Mit uns nicht.
  • Ich: „Aber doch. Ich kann mich ja sogar noch an den Flug erinnern – an eine kleinere Maschine mit jeweils zwei Sitzen pro Seite.
  • Sie: „Das genügt uns nicht als Beweis. Sie müssten uns schon beweisen, dass Sie mit uns geflogen sind, damit wir an einer anderen Lösung arbeiten könnten. Zum Beispiel mit einem Selfie, das Sie an Bord gemacht haben …
  • Ich (stärker genervt): „Naja, Sonntag morgens um 9 Uhr auf einem Business-Flug ist mir nicht nach Selfies zumute. Daher nein, so etwas habe ich nicht.
  • Sie: „Fällt Ihnen denn sonst irgendetwas Außergewöhnliches auf, das Ihre Anwesenheit beweisen könnte?
  • Ich: „Nein. Ein ganz normaler Flug, wie so häufig im Monat als Frequent Flyer. Was können wir denn jetzt machen?“ (parallel schon auf Swoodoo nach Flug-Alternativen recherchierend …)
  • Sie: „Ich werde mich mal weiter schlau machen.

Akt 3: Nach 3 Minuten Unruhe.

  • Sie: „Herr Ruisinger. Vielen Dank fürs Warten. Könnten Sie mal überlegen, ob Ihnen nicht doch zu Ihrem Flug etwas einfällt? Ich werde Ihnen jetzt ein Formular per E-Mail schicken, in dem Sie möglichst genau schildern sollten, wie Ihr Flug verlaufen ist. Denken Sie bitte an Details, an Besonderheiten, an Geschehnisse – alles könnte relevant sein.“ (also so wie Kommissare immer Zeugen befragen …)
  • Ich (innerlich wie äußerlich maulend): „Aber es war doch ein ganz normaler Flug ….
  • Sie: „Versuchen Sie es doch. Denn dann könnten wir nachprüfen, ob Sie wirklich mit uns geflogen sind.
  • Ich (verzweifelt): „Aber das bin ich doch …
  • Sie: „Ich verstehe Sie ja wirklich. Aber versuchen Sie alles zu beschreiben … Wenn es klappt, dann könnte ich Sie auf einen späteren Flug buchen. Denn Ihr Flug ist schon weg.
  • Ich: „Bitte wassss???
  • Sie: „Ja, dieser wurde durch Ihr Nicht-Antreten freigegeben. Und jetzt ist der Flug ausgebucht.
  • Ich (genervt nachdenkend – so funktionieren also die Doppel-Bookings der Fluglinien): „Und jetzt?
  • Sie: „Wenn Sie beweisen können (auf welcher Seite liegt eigentlich die Beweispflicht?), dass Sie mit uns geflogen sind, könnte ich sehen, ob ich Sie auf einen späteren Flug buchen kann.
  • Ich: „Ähhhh. Okay. Ich werde es versuchen. Aber es war wirklich ein ganz normaler Flug.“ (ich erinnere mich eigentlich immer nur an die wirklichen Horrorflüge …)
  • Sie: „Und dann rufen Sie 15 Minuten nach dem Absenden bei uns wieder an. Dann hoffen wir, Ihre E-Mail gelesen zu haben.
  • Ich (genervt drohend): „Ich werde es versuchen …. Ich kann nur sagen, dass wenn es mit dem Flug nicht klappt, wir alle ein verdammt großes Problem erhalten …
  • Sie (fast flehend): „Ja, das kann sein. Aber schreiben Sie uns doch bitte diese Mail.
  • Ich (verstummt): „Okay.

Akt 4: Dann kam die folgende E-Mail.

Akt 5: Und darauf meine E-Mail.

Akt 6: 15 Minuten später: Ich rufe die KLM-Hotline wieder an.

  • Neue Person: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Wie kann ich Ihnen helfen.“
  • Ich: „Guten Tag. Mir wurde mein Flug gestrichen, weil ich anscheinend meinen Hinflug nicht angetreten bin, was nicht stimmt.“
  • Sie: „Ach herrje. Das tut mir aber leid.“
  • Ich: „Ich habe alles bereits mit Ihrer Kollegin besprochen. Auch dass ich eine E-Mail schicken soll, in der ich meinen Flug beschreibe. Und das habe ich schon getan. Haben Sie diese in der Zwischenzeit gelesen?“
  • Sie: „Einen Moment …. Nein, noch nicht. Den Inhalt müssen wir natürlich erst in Ruhe prüfen.“
  • Ich: (innerlich aufplusternd beim Gedanken an „in Ruhe“ …) „Und wie lange dauert das jetzt?“
  • Sie: „Wir rufen Sie spätestens in einer Stunde zurück.“

Akt 7: Knapp 1 Stunde später: Der nächste Anruf – dieses Mal wieder von Person 1.

  • Sie: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Ich habe eine gute Nachricht für Sie. Durch Ihre Beschreibung des Mannes neben Ihnen konnten wir diesen identifizieren (keine Ahnung, wie das geschehen konnte). So konnten wir nachvollziehen, dass Sie wirklich mit uns geflogen sind.
  • Ich: „Ah. Guuut. Und jetzt?
  • Sie: „Ich habe Sie jetzt auf den Flug von 20.20 Uhr umgebucht. (Anmerkung: Dieser würde später 80 Minuten Verspätung haben.) Ein Ticket geht Ihnen spätestens in 2 Stunden zu, da ich vorher noch zu einer Fortbildung muss. Dann rufe ich Sie auch nochmals an.
  • Ich: „Und wie ist es mit dem Thema Kompensation?
  • Sie: „Darüber können wir dann auch sprechen.
  • Ich: „Okay. Ich bin gespannt.

Akt 8: 1 Stunde später: Sie ruft wirklich an.

  • Sie: „Guten Tag, Herr Ruisinger. Ich bin schon 1 Stunde früher dran. Ich habe Ihnen gerade eine Mail mit Ihrem Ticket geschickt. Haben Sie dieses erhalten?
  • Ich: (online recherchierend im leicht verlangsamten Hotel-WLAN-Netz): „Ja, habe ich erhalten. Und wie komme ich jetzt an meinen Bordpass?
  • Sie: „Da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Aber online müsste das klappen – ich habe die Möglichkeit bei Ihnen gerade freigeschaltet.
  • Ich: (online recherchierend auf der wirklich nicht üblen KLM-Webseite): „Ja, stimmt, das schaffe ich jetzt gut. Und was ist jetzt mit der Kompensation?
  • Sie: „Das ist eine andere Abteilung. Dazu gehen Sie am Besten auf unserer Webseite über den Navigationspunkt Kundendienst auf den Punkt „Beschwerden und Lob„, und füllen Sie dort das Formular mit allen Details aus.
  • Ich (etwas erleichtert): „Vielen Dank. Ansonsten möchte ich Ihnen persönlich noch für Ihre tolle Hilfe in den letzten Stunden danken.
  • Sie: „Auch Ihnen vielen Dank für Ihre Geduld und einen guten Flug.

Wenn die Technik den Mann zur Frau macht

So weit so absurd. Jetzt könnte man diese Story als ein KLM-Bashing verstehen; aber das soll es auf keinen Fall sein. Gerade die Mitarbeiterin – Originalton: „So einen Fall hatte ich auch noch nie …“ – hat gut und sauber auf diese – hoffentlich seltene – Situation reagiert. Mir stellen sich jedoch ganz andere und viel gravierendere Fragen:

  1. Rechtlich: Das Streichen eines Rückfluges bei Nicht-Antreten eines Hinfluges empfinde ich persönlich als ziemlich absurd – und war mir so auch nicht bekannt. Eine kleine Rückfrage im Freundeskreis brachte ein ähnliches Ergebnis. Auch wenn es anscheinend bei vielen Fluglinien Usus ist und vielleicht in den Tiefen der AGBs bei der Flugbuchung in winziger Schriftgröße 4 vorhanden ist: Müsste es nicht deutlich stärker hervorgehoben werden, damit dies jeder Reisende sofort mitbekommt? Oder müsste nicht zumindest jeder Reisende, der seinen Hinflug beispielsweise aus Krankheitsgründen nicht antreten konnte, explizit auf das Streichen seines Rückfluges hingewiesen werden? Also besteht hier nicht ein verstärktes Informationsrecht? Ich wäre ja gespannt, was hier die Juristen bisher herausgefunden haben. Denn das Thema Fluggastrechte ist in den letzten Jahren immer wieder positiv aufgeploppt.
  2. Menschlich: Das Zusammenspiel zwischen Technik und Mensch funktionierte hier nicht wirklich reibungslos. Ein Check-In beispielsweise am Flugsteig hätte auf diese Weise gar nicht möglich sein dürfen. Denn mein Fall könnte bedeuten, dass ich gar nicht eingecheckt wurde. Damit würde ich auf der Passagierliste gar nicht stehen, obwohl ich ja mitfliege. Damit würde eine ungeklärte Differenz zwischen Headcount und Passagierliste bestehen. Zumindest scheinen hier menschlich und/oder technisch klare Fehler beim Check-In-Prozess vorgefallen sein. Müsste solch ein – aus Sicht der Flugsicherheit – dramatischer Vorfall nicht sofort hoch-eskaliert werden, um solche Geschehnisse in Zukunft unter allen Umständen zu vermeiden? Denn wenn man sich vorstellt, was passieren könnte ….
  3. Technisch: Sind wir schon so weit, dass wir blind der Technologie vertrauen? Dass wir Fehler bei Systemen ausschließen? Dass deren Aussagen immer korrekt und unfehlbar sind? Und wenn nicht, dass wir Systemen persönlich das Gegenteil beweisen müssen? Was ist, wenn ein Körper-Scanner oder ein ähnliches System plötzlich über mich sagen würde: „Dominik, du bist eine Frau“ – und nein, das bin ich wirklich nicht. Und ich plötzlich dem Scanner beweisen müsste, dass ich wirklich keine Frau bin? Nein, das ist überhaupt kein absurdes Beispiel. Genau in diese Richtung drehen wir uns gerade – durch unser blindes Vertrauen in eine scheinbar unfehlbare Technologie – immer im Zusammenspiel mit dem Menschen zu sehen. Haben wir uns schon ausreichend Gedanken gemacht, was passiert, wenn diese wie gesagt scheinbar unfehlbare Technologie doch versagt? Wie eindeutig in meinem Fall – weshalb ich wegen der Unannehmlichkeiten nochmals an KLM herantreten werde.

Jeder, der mich kennt und/oder mir auf meinen Kanälen folgt, der weiß, dass ich mich viel mit neuen Technologien, veränderter Kommunikation, mit den Chancen wie den besonderen Herausforderungen in einer immer stärker technologisierten und digitalisierten Gesellschaft auseinandersetze. Daher bin ich weit davon entfernt, hier die Technologie zu bashen. Nur bin ich durch solche und ähnliche Vorkommnisse immer stärker im Zweifel, ob wir mit unserer hohen Technologie-Vertrautheit nicht einige Schritte schon zu weit sind – und dabei der menschlichen Kontrolle (unbewusst) weniger Bedeutung beimessen.

Wir stellen Technologie als praktisch unfehlbar darstellen. Nur ist sie das ist nicht – und wird es auch niemals sein.